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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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gespült, die Töpfe geschrubbt, der Herd geputzt, die Kohlen gebunkert. der Boden gewischt, die Geschirrtücher eingeweicht und Barney gefüttert war. Lou und Beth putzten ihre Stiefel. Abby saß mit einem Berg Flickwäsche vor dem Kamin. Pa saß ihr gegenüber und reparierte Pleasants Zaumzeug. Und ich? Ich stand in der Mitte der Küche. nah genug an jedem einzelnen Familienmitglied, um es berühren zu können, und mein Herz klopfte so stark. daß ich glaubte, es würde bersten.
    Es gab noch weitere Pflichten zu erledigen. Die Holzkiste neben dem Ofen war fast leer. Es gab Asche. die draußen in den Abort geleert werden mußte, und Abby hätte meine Hilfe beim Stopfen brauchen können, aber ich hatte das Gefühl, als würden die Wände mich erdrücken. Als würde ich wahnsinnig werden. wenn ich noch eine Sekunde länger in diesem Gefängnis bliebe. Ich lehnte mich an die Spüle und schloß die Augen. Ich mußte wohl gestöhnt haben, denn Abby fragte plötzlich: »Was ist los, Mattie?«
    Ich öffnete die Augen und sah, daß sie zu mir aufblickte. Auch Lou und Beth blickten auf. Sogar Pa tat es.
Dehiszenz
war mein Wort des Tages. Es ist ein schönes Wort, ein Fünf-Dollar-Wort. Es bezeichnet Kapseln oder Früchte, die aufplatzen, damit die Samen herauskommen können. Wie war es möglich, daß ich jeden Tag ein neues Wort lernen konnte, und doch nie das richtige parat hatte, um meiner Familie zu sagen. wie ich mich fühlte?
    Â»Nichts ist los. Mir geht’s gut. Ich bin bloß müde. das ist alles. Ich. ich glaub, ich hab vergessen, den Riegel vor die Stalltür zu schieben«, log ich, dann lief ich in den Schuppen, nahm meinen Schal und lief weiter. Hinaus in den Hof, am Garten und am Abort und an der schwarzen Erde des Maisfelds vorbei.
    Ich lief weiter, bis ich ans östliche Ende von Pas Land kam, wo die Felder in Wald übergehen, wo ein kleiner Fluß verläuft und sich gleich dahinter eine kleine, mit Lärchen gesäumte Lichtung befindet. An den Ort, wo meine Mutter begraben liegt.
    Ich war völlig außer Atem, als ich dort ankam, und ging immer wieder ums Grab herum und versuchte. mich zu beruhigen. Mir war schwindelig und schlecht wie damals, als Minnie und ich aus dem Schrank ihres Vaters Brandy klauten. Nur hatte ich diesmal nicht zuviel Alkohol getrunken. Es waren die Bücher. Ich hätte aufhören sollen nach Zola und Hardy, aber das tat ich nicht. Gleich danach hatte ich mich gierig auf »Grashalme« von Walt Whitman, »Lieder der Unschuld« von William Blake und »Eine ferne Musik. von Emily Baxter gestürzt.
    Die Lyrikbände hatte ich mir am Samstag ausgeliehen, als ich wieder zu Miss Wilcox ging, um mit dem Ordnen ihrer Bibliothek anzufangen. »Den kannst du behalten, Mattie«, sagte sie zu dem Band von Emily Baxter, »aber zeig ihn niemandem.« Das brauchte sie mir nicht zu sagen. Ich wußte schon Bescheid übe. »Eine ferne Musik«. In Tante Josies weggeworfenen Zeitungen hatte ich Artikel darüber gelesen. Darin hieß es, daß Emily Baxter einen »Angriff auf den Anstand« darstelle, einen »verderblichen Einfluß auf die amerikanische Frau« ausübe, und »eine Beleidigung für alle wahren weiblichen Empfindungen« sei. Von der katholischen Kirche war es geächtet und in Boston öffentlich verbrannt worden.
    Ich dachte, es würde Fluchwörter, schmutzige Bilder oder sonst etwas abgrundtief Schamloses enthalten, aber das war nicht der Fall – es waren bloß Gedichte. Eines war über eine junge Frau, die sich in einer Stadt eine Wohnung mietet und dort allein ihr erstes Abendessen einnimmt. Aber es war nicht traurig, kein bißchen. Ein anderes war über eine Mutter mit sechs Kindern, die feststellt, daß sie ein siebtes bekommt, und so verzweifelt darüber ist, daß sie sich erhängt. Eines war über Penelope, die Frau des Odysseus, die ihren Webstuhl anzündet und sich aufmacht, um selbst ein wenig herumzureisen. Und eines war über Gott, der statt eines Mannes eine Frau war. Das mußte dasjenige gewesen sein, das den Papst so erzürnt hatte.
    Gütiger Himmel … Wenn Gott nun tatsächlich eine Frau war? Würde der Papst dann arbeitslos werden. Und wäre der Präsident dann ebenfalls eine Frau. Und der Gouverneur? Und der Sheriff? Und wenn die Leute heirateten, würde dann der Mann

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