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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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einmal gehört hatte – in der Halle mit dem Altar des Orakels.
    Lord Morlen flüsterte mit krächzender Stimme: »Ich werde dich bis in den Tod suchen und weit darüber hinaus!«
    Bryns Herz schlug laut vor Schreck. Mit wem sprach er?
    Lord Morlen wird sterben, von einer jungen Frau mit einem Messer getötet, sagte die Stimme des Orakels.
    Dann wurde Bryn wieder vom Wind ergriffen. Er trug sie weg vom Traum des Todes in Sliviia und stieß sie durch die Wand aus Sand.
    Sie bewegte sich unbehaglich und nahm dabei vage wahr, dass sie auf einer Liege aus goldenem Samt lag.
    Sie kämpfte, um richtig aufzuwachen, wollte sich aufsetzen, aufstehen und die helle Kammer verlassen. Doch sie hätte ebenso gut versuchen können, gegen alle Götter gleichzeitig zu kämpfen: Nicht einmal die Augen vermochte sie zu öffnen.
    Der Wind nahm sie auf und warf sie erneut gegen die schwere Wand. Auch jetzt schien sie so fest zu sein wie beim ersten Mal, doch wieder verwandelte sie sich in Sand, durch den sie an einen anderen Ort in einer anderen Zeit in einen anderen Traum getragen wurde.
    Sie befand sich in einem Raum, dessen Wände mit Holz verkleidet waren, das so behandelt und poliert war wie ein edles Steinmosaik, das einen See mit sanftem Wellengang darstellte. Auf einem Brett neben einem Pult standen Kerzen, die flackerndes, warmes Licht verbreiteten.
    An dem Pult saß eine junge Frau und schrieb. Voller Konzentration hielt sie den Kopf gesenkt, doch als sie hochschaute, konnte Bryn haselnussbraune, wache und kluge Augen erkennen.
    Da war nichts, was dieses Gesicht jetzt verunstaltete.
    Nun war es sauber und die Lippen weich statt aufgesprungen, die Haut gesund und nicht verbrannt, das Haar gut gekämmt, ein ruhiger Ausdruck lag auf dem Gesicht, doch es war unzweifelhaft die Frau, die den Meisterpriester auf der Straße durch die Wüste angeschrien hatte.
    »Du lebst?«, flüsterte Bryn. Das ist ein Traum, dachte sie. Sie kann mich nicht hören.
    Doch die Frau nickte. »Erzähl es ihm nicht!«, sagte sie und sah Bryn dabei direkt an. »Sonst wird sie meine Worte niemals lesen.«
    Wem erzählen? Und was? Um sie das zu fragen, trat Bryn einen Schritt näher.
     
    Dawn war auf dem Weg, Bryn zu wecken. Seit einer Woche hatten die beiden die Aufgabe, früh am Morgen die Latrinen zu schrubben, und Bryn hatte immer noch nicht gelernt, von alleine vor dem Gong aufzuwachen.
    Dawn schob den Vorhang zur Seite und war überrascht zu sehen, dass Bryn bereits aufgestanden war. Aber wohin war sie gegangen?
    Dawn eilte in den Waschraum neben dem Saal der
    Helferinnen und sah eine leere Zeile Waschtische aus Porzellan. Ein Blick zu den Latrinen, aber auch dort war niemand. Schnell ging sie zurück in den Saal der Helferinnen, aber da war immer noch keine Bryn.
    Dawn schnappte sich einen Kübel und eine Bürste.
    »Ellerth möge mir Geduld verleihen, ich muss wohl alle Latrinen alleine putzen«, brummte sie vor sich hin und schüttete Flocken starker Seife in den Kübel.
    Kurz bevor der Gong zum Wecken ertönte, war Dawn mit der letzten Latrine fertig. Sie beeilte sich, ihre Putzutensilien zu verstauen und sich Gesicht und Hände zu waschen. Dann warf sie sich ihr Schülerinnengewand über, kümmerte sich nicht darum, ob es richtig saß, stellte sich an den Eingang zur Haupthalle und blickte voller Angst in ein Gesicht nach dem anderen. Keine Bryn.
    »Hattest du einen Albtraum?«, fragte Eloise, »oder bist du selbst ein Alb träum?«
    Dawn hörte sie kaum. Sie betete zu Vernelda, der Göttin der Gerechtigkeit und der Liebe: Vernelda, wenn ich dich mit meinen vielen Bitten, nicht weiter zu wachsen, belästigt habe, so bitte ich dich um Verzeihung. Wenn Bryn nicht auftaucht, muss ich sie als fehlend melden, und was wird die Sendrata der Helferinnen dann tun?
    Ich werde bis zur Tag- und Nachtgleiche Latrinen putzen müssen.
    Aber wieder einmal antwortete Vernelda nicht auf ihr Gebet. Bryn erschien nicht.
     
    Jeden Morgen genoss Renchald die Stunde der Meditation. Er wusste, dass viele der Priesterinnen und Priester diese Stunde im Geheimen als eine Last empfanden, er aber nicht.
    Heute jedoch stimmte irgendetwas nicht. Er hatte die Rituale alle fehlerfrei ausgeführt: sieben große weiße Kerzen nacheinander angezündet, eine für jeden der Götter, und sich vor Keldes verbeugt, dem Gott des Todes, der über seinen Vogel, den Geierfalken, wachte. Und doch erfüllte ihn, nachdem er sich zur Meditation niedergelassen hatte, statt Ruhe eine

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