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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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gesagt hatte, als sie sich begegnet waren: Die, die dem Orakel dienen, sehen, was andere nicht sehen können.
    Bryn ging weiter, dem Licht nach, das zielstrebig durch die Halle trieb. Sie fand es seltsam, dass sie keinen Menschen traf, als sie weiter der Distelwolle folgte, die sie durch viele Flure tief in den Tempel leitete. Sie wartete darauf, jeden Augenblick eine Wache oder einen älteren Helfer um die Ecke kommen zu sehen, doch niemand tauchte auf. Sie stieg sanft nach unten führende, gewundene Steintreppen hinab und der Boden wurde kühler.
    Die Distelwolle glitt weiter vor ihr her und leuchtete ihr.
    Dann kam sie zu einer weiteren Treppe, deren schmale Stufen steil nach unten führten. Dort endete ein aus Stein gemauerter Gang an einer silbernen Tür.
    Während die Distelwolle dicht davor schwebte, untersuchte Bryn die Tür. Um den riesigen Knoten der Götter in der Mitte rankten sich kunstvoll in das Metall eingearbeitete Muster. Zögernd berührte sie das Zeichen. Ihre Finger vibrierten.
    Die Tür schwang so leise auf, wie Bryns Füße über den glatten Boden glitten. Sie betrat eine warme Kammer, die aus demselben Licht gebildet zu sein schien, wie das, das aus der Distelwolle leuchtete. Rein und hell ergoss sich dieses Licht über Hunderte von Symbolen, die sie nicht kannte, und strömte über die leicht gewölbte Decke und den glänzenden Boden.
    Bryn beugte sich hinunter und fragte sich, wie Steine so strahlen konnten. Ihr Vater und ihre Brüder hatten über einen Stein gesprochen, den sie Alabaster nannten.
    War dieser Boden hier aus Alabaster? Bestand die ganze Kammer daraus?
    Bryn kniete sich hin und spürte, wie das Strahlen der Kammer in sie hineinfloss und ihren Geist blendete. Je länger sie kniete, desto heller schien das Licht in ihr und um sie herum.
    Als sie schließlich wieder aufstand, hatte sie das Gefühl, dass sich ihr Geist durch eine Kraft geändert habe, die weit außerhalb dessen lag, was sie verstehen konnte.
    Ich werde nie mehr dieselbe sein.
    Sie bemerkte eine mit goldenem Samt gepolsterte Liege an der Wand und fragte sich, wieso sie sie vorher übersehen hatte.
    Vorsichtig ließ sie sich darauf nieder. Der Samt fühlte sich weicher an als alles, was sie jemals berührt hatte, als wäre er aus goldenen Blütenblättern gesponnen.
    Plötzlich war sie müde, furchtbar müde. Sie wusste, dass sie jetzt eigentlich gehen müsste, die Distelwolle finden und sich von ihr zurück in den Saal der Helferinnen leiten lassen sollte. Doch die Liege war so einladend, bestimmt würde es nicht schaden, sich eine Weile darauf auszustrecken, nur so lange, bis sie sich wieder imstande fühlte, die Treppe nach oben zu steigen.
     
    Fast sofort, nachdem sich Bryn auf das goldene Polster gelegt hatte, schlief sie ein und fing an, lebhaft zu träumen.
    Ein Dröhnen erfüllte ihre Ohren und ein mächtiger Wind blies s ie auf einen enorm großen, kahlen Felsen zu.
    Sie konnte weder stehen bleiben noch irgendwie die Richtung ändern.
    Mit hoher Geschwindigkeit näherte sie sich der Felswand und streckte ihre Arme aus, um den zu erwartenden Aufprall zu mildern. Doch als ihre Hände den Stein berührten, zerfiel er zu Sand. Ihre Arme versanken in dem zerfallenden Fels, gefolgt von ihrem Körper, der von dem mächtigen Wind geschoben wurde. Sie war völlig mit Sand bedeckt, als sie wieder ins Freie kam, und sie spürte, dass sie sich in der Zukunft befand, in Sliviia, dem Königreich jenseits des Grizordiagebirges.
    Der große Raum, in dem sie sich befand, wurde nur durch ein schmales Fenster und ein Oberlicht erhellt.
    Über den Boden verstreut lagen die Körper von rund fünfzig Männern, die offenbar noch nicht lange tot waren. Direkt neben ihr stand ein Soldat in einem ledernen, grauweiß gestreiften Wams. Er trug stahlverstärkte Handschuhe und eine schwarze Axt mit gefährlich schimmernder Klinge hing von seiner Hüfte. Zwei gleichmäßige Schnitte reichten von seiner Stirn bis zum Kinn. Frisches Blut tropfte über seine Wangen.
    Bryn wollte zurückweichen, aber sie konnte sich nicht rühren. Doch er beachtete sie gar nicht, und sie merkte, dass er sie nicht sehen konnte.
    Noch weitere Soldaten wie er standen in Gruppen zusammen und blickten auf einen am Boden liegenden Mann, der aus einem Schnitt in der Kehle blutete. Obwohl er völlig hilflos wirkte, erfüllte der verwundete Mann sie mit Angst. Wer ist er?, fragte sich Bryn.
    Lord Morlen, sagte die glockenhelle Stimme in ihrem Kopf, die sie erst

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