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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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aus. »Im Laufe der Zeit, die ihr dem Orakel dient, werdet ihr auf Tausende solcher Beispiele stoßen.
    Eine Prophezeiung kann einfach oder verwirrend sein.
    Die klarsten Prophezeiungen weissagen Unfälle, insbesondere solche, an denen Kinder beteiligt sind. Die meisten dieser Unfälle können abgewendet werden. Die am wenigsten klar zu durchschauenden Prophezeiungen betreffen mächtige Erwachsene mit vielen Geheimnissen.«
    Sie bedeutete Brock, sich zu setzen. »Die Wissbegier der von der Eule Erwählten ist berühmt, aber ich muss dich bitten, weitere Fragen vorerst für dich zu behalten.
    Wir werden jetzt fortfahren, Tee trinken und Visionen suchen.« Sie zeigte auf eine Reihe von Helferinnen.
    »Eloise, du füllst die Teekannen. Jacinta, Narda und Charis, ihr teilt die Kannen und Tassen aus. Ich bringe die Teeblätter.«
    Eloise fing an, in die kleinen roten Teekannen heißes Wasser aus den Kesseln zu gießen.
    Jacinta stellte eine Teetasse und eine dampfende Teekanne auf Bryns Tisch. Die feine kleine Tasse hatte einen glitzernden, vergoldeten Bogenrand. Ilona füllte ein kleines Häufchen trockener Teeblätter auf den Boden der Tasse.
    Als alle versorgt waren, klingelte sie mit einem Glöckchen. »Gießt Wasser darauf«, sagte sie. »Während der Tee zieht, wollen wir gemeinsam das Orakel beschwören.«
    Bryn goss Wasser über die Teeblätter und sah zu, wie sie sich voll saugten und aufquollen. Zusammen mit den anderen murmelte sie die Anrufung. Dann klingelte Ilona wieder mit dem Glöckchen. Sein silbriges Läuten war eigenartig durchdringend.
     
    »Die Teeblätter stammen von Lord Abernam aus dem Südland. Er erwartet in diesem Jahr eine überragende Weinlese. Er bittet um eine Vision über die Qualität des Weins, der in seinen neuen Fässern reifen soll.
    Trinkt den Tee. Wartet auf die Vision. Und wenn sie kommt, schreibt sie genau so auf euer Pergament, wie sie euch erscheint.«
    Zusammen mit den anderen hob Bryn die feine rote Tasse an den Mund und trank. Die Tasse war so klein, dass sie nur wenige Schlückchen Tee enthielt.
    Bryn schloss die Augen und fragte sich, ob ihr das Orakel eine Vision gewähren würde. Doch sie brauchte nicht lange zu warten, bis sie ein Gefühl empfand, das sie an die Alabasterkammer erinnerte, als ob flüssiges Licht in sie strömte. Ihre Stirn kribbelte.
    Ein Raum voller Weinfässer erschien vor ihr. Die Fässer sahen neu und gut gearbeitet aus, das Holz war sorgfältig in Form gebracht und mit Metallbändern umspannt.
    Ein Mann mit konzentriert gerunzelter Stirn goss dunkelroten Saft in eines der Fässer.
    Bryn besah sich den Mann gründlich, damit sie ihn beschreiben konnte. Auf der rechten Wange hatte er eine kleine, gezackte Narbe und sein Haar wurde schütter.
    Irgendwie musste er wichtig sein, dachte sie. Warum sonst sollte das Orakel ihn ihr zeigen?
    Doch ihre Aufmerksamkeit wurde von dem Mann weg auf die Metallbänder gelenkt. Ihre Sicht veränderte sich, und sie konnte in die Fässer hineinsehen, wo weitere Metallbänder die äußeren Dauben verstärkten.
    Ein Windstoß rauschte an ihrem Ohr vorbei. Blei ist in das Metall geschlagen worden. Wer von diesem Wein trinkt, wird krank.
    Die Worte hatten denselben glockengleichen Klang
    wie die, die Bryn von ihren Träumen auf der goldenen Liege in der Alabasterkammer kannte, mit derselben Gewissheit der Stimme des Orakels.
    Prophezeiung.
    Bryn schlug die Augen auf. Sie tauchte den Federkiel ein und fing an zu schreiben.
     
    Die Weissagung, die die mit Blei versetzten Metallbänder als Giftquelle in Lord Abernams Wein benannte, war Bryns erste Vorhersage, die sich bestätigte. Die Prophezeiungen flogen ihr zu wie der Samen mit dem Wind.
    Der Sommer neigte sich dem Herbst zu und der Herbst wurde langsam kalt. Bryn ließ weitaus erfahrenere Schüler hinter sich zurück und wurde die Beste der Weissagungsklasse, dicht gefolgt von Clea. Wütend darüber, dass sie nicht die Erste war, ließ Lord Erringtons Tochter außerhalb des Unterrichts keine Gelegenheit aus, Bryn zu beleidigen oder zu ärgern.
    »Bryn«, sagte sie zum Beispiel überfreundlich, »in den Latrinen war das zweite Klo von rechts heute Morgen gar nicht sauber. Kümmere dich doch mal darum.« Und dann kam ihr höhnisches Gelächter.
    Eloise schien immer in der Nähe zu sein, um dann einzustimmen: »Dawn, wenn du heute rausgehst, vergiss nicht, deine Lieblingsratte mitzunehmen.«
    Als die Tage kürzer wurden, mussten Bryn und Dawn lange vor Sonnenaufgang

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