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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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führte sie zu einem Regal voller verstaubter Bände, von denen keiner etwas mit dem Wind, den Gaben oder auch nur der Geschichte des Tempels zu tun hatte. Dann hörte sie Charis ausgelassen mit Eloise lachen und verließ die Bibliothek mit nicht mehr als Staub an ihren Händen.
    Doch das Wenige, was Dawn ihr gesagt hatte, stimmte. Die Erste Priesterin bezog Bryn mit ein, als sie die neuen vom Vogel erwählten Helferinnen und Helfer in aller Form zu ihrem Unterricht im Prophezeien einlud.
    Voller Neugier, aber auch voller Respekt, gingen Willow und Bryn zusammen zur ersten Sitzung. Die Sendrata der Helferinnen stand am Eingang, begrüßte die Schülerinnen und Schüler und zeigte ihnen ihre Plätze.
    Kannelierte Säulen begrenzten die vier Ecken des großen Raums, in dem eine Reihe einfacher Holztische standen. Jeder Tisch war mit kleinen Stapeln Pergament und Federkielen sowie einem eingelassenen Tintenfass ausgestattet. Hohe Fenster sorgten für gutes Licht. Vorne befand sich ein großer Tisch, auf dessen Marmorplatte lange Reihen roter Teekannen und Tassen aufgereiht standen. Vier mächtige Kessel dampften auf einem Herd.
    Die Wände waren mit Teppichen geschmückt, die Helferinnen und Helfer zeigten, die sich vor Vögeln jeder Art verbeugten und Federn übernahmen – lange, kurze, breite und schmale Federn.
    Bryn setzte sich auf den ihr zugewiesenen Platz neben Willow und wartete unruhig, bis sich alle versammelt hatten. Kiran kam herein und kurz darauf Brock, der von der Eule erwählt worden war. Nirene wies ihnen nebeneinander liegende Plätze auf der anderen Seite des Raums zu. Als alle da waren, verließ Nirene den Raum.
    Die Erste Priesterin kam nach vorne. In ihrem bronzefarbenen Gesicht leuchteten ihre Augen wie schwarze Oliven, während sie ihre Schüler schweigend betrachtete.
    In der Hand hielt sie einen dünnen Stab aus Elfenbein.
    Dann verbeugte sie sich formell: Die Erste Priesterin des Orakels grüßt die Schüler der Weissagung. Alle Schüler der Klasse standen geschlossen auf und verbeugten sich ihrerseits: Die ergebenen Schüler des Orakels grüßen die Erste Priesterin.
    Ilona bedeutete ihnen, sich zu setzen. Sie wartete, bis das Rascheln und Flüstern verebbt waren, und ließ dann die Stille so lange wachsen, bis sie fast übermächtig war.
    »Wir haben eine Reihe neuer Schüler«, sagte sie schließlich. »Seid willkommen. Unsere Unterrichtszeit ist kostbar und sollte nicht mit einer langen Einführung vergeudet werden.
    Alle von euch haben die Gabe der Prophezeiung. Ihr habt viel zu lernen. Nicht nur, wie die Besonderheiten eurer Visionen zu interpretieren sind, sondern auch, wie ihr mit euren Prophezeiungen und denen anderer umgeht.« Ihre Stimme hob sich. »Einige von euch halten sich für schon sehr bewandert, weil sie bereits seit Jahren an diesem Unterricht teilnehmen. Doch ich erwarte, dass ihr ebenso gut zuhört wie die neuen Schüler. Lehrstoff bedarf der Wiederholung.«
    Sie machte eine Pause. »Ihr müsst drei grundlegende Gesetze einhalten, wenn ihr dem Orakel dienen wollt.
    Erstens: Sprecht außerhalb dieses Raums niemals aus welchem Grund auch immer mit irgendjemand über eure Visionen. Zweitens: Behandelt jede Vision eines anderen Propheten mit der gleichen heiligen Vertraulichkeit wie eure eigene. Drittens: Verheimlicht niemals auch nur eine Vision vor mir oder dem Meisterpriester und täuscht niemals eine Vision vor, die ihr nicht hattet.«
    Einen Augenblick lang sah Bryn das Bild eines goldenen Steinadlers, der hinter Ilona schwebte. Seine Schwingen nahmen den Platz ihrer Arme ein, seinen Kopf trug sie wie einen Helm. »Wenn ihr auch nur eines dieser Gesetze brecht, werden es die Götter wissen«, sagte Ilona. »Und sie werden euch nicht vergeben.«
    Bryns Herz begann zu flattern wie ein Vogel, der in einem Käfig gefangen war. Sie hielt sich an der Tischkante fest. Sie hatte den Meisterpriester angelogen, ihm gesagt, sie erinnere sich nicht an ihre Träume, während sie in der Alabasterkammer geschlafen hatte. Aber sie erinnerte sich.
    »Die Strafen für das Überschreiten dieser Gesetze sind sowohl geheim als auch hart«, sagte Ilona gerade.
    Das stimmte sicher. Hatte Kiran nicht gesagt, Selid hätte durchschimmern lassen, dass sie ihre Visionen nicht alle erzählt hatte? Warum hatte sie das getan? Bryn hatte erlebt, wie das ganze Gefolge des Meisterpriesters Selid wie Luft behandelt hatte. Sie konnte nur auf seinen Befehl hin ohne Wasser in der Lydenwüste ausgesetzt

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