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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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nicht gefallen. Es würde ihm Sorgen machen, also behielt
    sie es für sich. Wenn sie allein war, übte sie trotzig, Visionen aufzuschreiben – Visionen im Stil des Meisterpriesters.
     
    Südlich von dem Ort, in dem Selid lebte, rannte die Helferin, die ihr das Leben gerettet hatte, den Weg zum See entlang. Es war ein unterrichtsfreier Tag.
    Als Bryn entschied, hinauszugehen und einen Spaziergang durch den Wald zu machen, hatte sie keine Ahnung davon, dass man ihr eine Falle gestellt hatte und ihr ein Fluch drohte.
    Sie pfiff nach Jack, doch der Hund kam nicht zum Vorschein. Sie wusste, dass Kiran in der Bibliothek war, er hatte mürrisch erwähnt, dass er Brocks Hilfe brauchte, wenn er beim Mathematikunterricht mitkommen wollte.
    Bryn schlug den Weg ein, der am See entlangführte und dann zu den Bäumen abbog. Beim Rennen nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Einige kleine Nebengebäude standen in der Nähe des Sees und irgendetwas war zwischen zwei Schuppen hindurchgeflitzt.
    Bryn hielt an und spähte nach vorne, weil sie glaubte, Eloises Umhang gesehen zu haben, der ein unverwechselbares Muster aus eingewebten Federn hatte.
    Bryn beeilte sich, weil sie hoffte, die Bäume zu erreichen, bevor sie entdeckt wurde. Wo Eloise war, war auch Clea normalerweise nicht weit. Sie wollte den beiden nicht begegnen, wenn es sich vermeiden ließ.
    Als sie sich dem Waldrand näherte, erschien eine Wolke von Distelwolle vor ihr.
    Für eine echte Wolke aus Distelwolle war es viel zu spät im Jahr. Schon längst hatte der Herbst die Bäume entblättert und die Disteln waren trocken und verschrumpelt.
     
    Diese Wolke leuchtete in der Kälte, als würde sie innerlich von einem silbrigen Feuer erhellt. Sie bewegte sich, führte vom Weg in den Wald ab und auf die Hütten zu, wo vielleicht Eloise lauerte.
    Bryn zögerte. Sie wäre so gerne durch den friedlichen Wald gestromert. Forschend beobachtete sie die Schuppen. Ja, das war eindeutig Eloises Umhang, der da hinter einer Ecke zu sehen war.
    Die Distelwolle trieb etwas hin und her, als wollte sie zu der Stelle zeigen, wo sich Eloise versteckte. Lagen sie und Clea dort im Hinterhalt? Bryn war nicht in der Stimmung, sich die Sticheleien der Federn anzuhören.
    Als sie unschlüssig stehen blieb, verblasste die Distelwolle, ihr Licht verlosch mit einem Flackern und ihre hauchdünnen Fädchen verschwanden. Was auch immer sie ihr hatte sagen wollen, konnte nicht so wichtig gewesen sein, dachte Bryn, sonst wäre sie beharrlicher gewesen. Sie wandte sich um und folgte dem Weg auf den Wald zu.
    Kaum zwischen den Bäumen angelangt, hörte sie ein Weinen.
    Eine Felsgruppe, größer als Bryn, säumte den Weg auf der linken Seite. Als sie sich ihr näherte, wurde das Weinen lauter. Neugierig verließ sie den Pfad, um einen Blick hinter die Felsen zu werfen. Verwelktes Laub bedeckte den Boden unter ihren Füßen, während sie sich zwischen dornigen Brombeerranken hindurchschlängelte.
    Da, an den Felsen gelehnt, kauerte eine jammernde Helferin. Blonde Haarsträhnen bauschten sich über einem kostbaren Mantel. Aus ihren Augen strömten die Tränen, ihre Nase war rot und ihr ganzer Körper bebte vom Schluchzen.
    Clea!
    Als sie Bryn sah, schlug sie eine Hand vor den Mund.
    »Bist du verletzt?«, fragte Bryn und überlegte, warum Clea wohl weinte.
    Clea schüttelte den Kopf. Sie legte ein zartes Taschentuch über ihre Nase und schnauzte sich. Mit geröteten Augen blickte sie zu Bryn hoch. »Du würdest das doch nicht verstehen.« Sie winkte mit der Hand ab. »Geh weg.«
    Schon halb abgewandt, hielt Bryn in der Bewegung inne, straffte die Schultern und blickte Clea an. »Du bist also nicht verletzt?«
    Clea wischte noch mehr Tränen weg. »Wenn du es
    unbedingt wissen willst«, schluchzte sie. »Ich heule, weil mein Vater will, dass ich in allen Fächern die Beste bin, und das schaffe ich nicht.«
    Ihr Vater? Erstaunt und voller Mitleid betrachtete Bryn das Mädchen. War das der Grund, warum Clea sich immer in den Vordergrund spielte und versuchte, jeden zu übertreffen? Bryn musste an Simon und sein geduldiges Gesicht denken. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was es bedeutete, einen ganz anderen Vater zu haben.
    Clea wandte den Kopf ruckartig in Richtung Tempel.
    »Da kann ich niemand erzählen, dass ich viel lieber nicht so viel lernen würde. Die würden das nicht verstehen.«
    Bryn dachte an Eloises beißenden Spott, an Charis’
    Klatschsucht, an Nardas kreischendes Lachen.

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