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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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die Menschen wurden von Schmerz und Leid erlöst, während sie der Kindheit entgegenstrebten.
    Plötzlich änderte der Hintergrund sich erneut. Das Gesicht dieser neuen Großmutter, etwa zehn Generationen zurück, wurde von einer Landschaft eingerahmt: Kleine Felder, Schweine, Kühe und eine Schar schmutziger Kinder. Die Frau war verhärmt, hatte Zahnlücken und ein runzliges Gesicht. David wusste, dass sie fünfunddreißig, höchstens vierzig Jahre alt war.
    »Unsre Vorfahren waren Bauern«, stellte Bobby fest.
    »Das waren fast alle Menschen, bevor die Wanderung in die Städte einsetzte. Die industrielle Revolution hat aber noch nicht begonnen. Sie sind wahrscheinlich nicht mal in der Lage, Stahl zu erzeugen.«
    Die Jahreszeiten pulsierten, und helle Sommer wechselten sich mit dunklen Wintern ab. Die Generationen der Frauen, Töchter und Mütter durchlebten den immer kürzeren Zyklus vom verlebten Elternteil über das schöne Mädchen bis hin zum Kind mit den Kulleraugen. Manche Frauen erschienen mit schmerzverzerrten Gesichtern auf dem Bildschirm: das waren die Unglücklichen, die im Kindbett starben, und es wurden ihrer immer mehr.
    Die Geschichte entfaltete sich. Die Jahrhunderte folgten einander, und bald wussten die Europäer nichts mehr von Amerika und hatten keine Ahnung, dass dieser Kontinent existierte. Die Goldene Horde, mongolische und tatarische Reiterarmeen, deren Leichen der Erde entstiegen, sammelte sich – und zog sich wieder nach Zentralasien zurück.
    Von alledem wussten diese ackernden englischen Bauern, die ohne Schulbildung und Bücher Generation für Generation dieselbe Scholle bestellten, nichts. Für diese Leute, sagte David sich, war der örtliche Steuereintreiber eine schlimmere Schreckensgestalt als Tamerlan oder Dschingis Khan. Wenn die WurmCam schon nichts anderes zeigte, dann wurde immerhin eines in schonungsloser Offenheit deutlich: dass die meisten Menschen ein Dasein im Elend führten, als Unfreie ein trostloses Leben fristeten, und wenn einmal ein Todesurteil vollstreckt wurde, war das geradezu eine Erlösung.
    Dann sahen sie ein Mädchen mit verfilztem dunklem Haar, blassgelbem Teint und eingefallenem Gesicht vor einem Hintergrund, der plötzlich verschwamm. Streiflichtartig erkannten sie eine triste Landschaft, durch die eine endlose zerlumpte Flüchtlingskolonne zog. Hier und da lagen Haufen brennender Leichen.
    »Eine Seuche«, sagte Bobby.
    »Ja. Sie müssen fliehen. Aber sie wissen nicht, wo sie hin sollen.«
    Dann stabilisierte das Bild sich wieder und zeigte den Ausschnitt einer weiten, flachen Landschaft, und die jäh unterbrochene Abfolge der Schinderei auf den Äckern wurde fortgesetzt.
    Am Horizont erhob sich eine normannische Kathedrale, ein monumentaler Sandsteinbau. Wenn das die Fens war, die weite Ebene im Osten Englands, dann war das vielleicht Ely. Das große Bauwerk, das zu dieser Zeit schon ein paar Jahrhunderte alt war, wirkte wie ein riesiges steinernes Raumschiff, das vom Himmel herabgesunken war. Es musste das Bewusstsein dieser geknechteten Menschen beherrscht haben – und zu diesem Zweck war es natürlich errichtet worden.
    Die scheinbar für die Ewigkeit gebaute Kathedrale schrumpfte und zerfiel mit verblüffender Schnelligkeit in kleinere einfachere Strukturen, bis auch diese schließlich verschwunden waren.
    Die Bevölkerungsdichte ging zurück, und die Flut der Menschheit verwandelte sich in Ebbe. Die normannischen Eroberer mussten ihre Feldlager und Burgen wieder geräumt und sich nach Frankreich abgesetzt haben. Bald flossen auch die Wellen der skandinavischen und europäischen Eroberer in die Heimat zurück. Als der Tod und die Geburt von Mohammed nahten, verschwanden die Moslems aus Nordafrika. Zu dem Zeitpunkt, als Jesus vom Kreuz genommen wurde, lebten nur noch hundert Millionen Menschen auf der Welt.
    Während die Gesichter der Vorfahren kaleidoskopartig an ihnen vorbeizogen, änderte die Szenerie sich wieder. Eine kurze Wanderungsbewegung setzte ein. Nun bestellten diese weit entfernten Verwandten ein Trümmerfeld – abgetragene Mauern, freiliegende Keller, und der Erdboden war mit Marmorblöcken und anderem Baumaterial übersät.
    Die herumliegenden Steine fügten sich wie von Geisterhand zusammen, und Gebäude entstanden gleich zeitlupenartig erblühenden Blumen.
    David schaltete auf Standbild und vergrößerte das Gesicht einer Frau, seiner achtzig Generationen entfernten Urahnin. Sie war vielleicht vierzig, hatte eine gute Figur, blaue

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