Das Licht ferner Tage
selbst das kleinste Wurmloch offen zu halten.«
Hiram ging zum Fenster der Cafeteria. Beim Blick durchs Fenster sah David den massigen Detektor-Komplex im Zentrum der Anlage. »Ich habe ein paar gute Leute hier. Sie sind aber Theoretiker. Und sie sind lediglich imstande, Teilchen einzufangen und den Verlauf einer eventuellen Panne zu rekonstruieren. Wir müssen erst die Theorie untermauern, bevor wir mit praktischen Versuchen fortfahren. Und an dieser Stelle kommt ihr ins Spiel.« Er drehte sich um. »David, ich möchte, dass du dich in Oxford beurlauben lässt und mit mir zusammenarbeitest.« Hiram legte David den Arm um die Schultern; er war warm und stark und übte einen schier überwältigenden Druck aus. »Stell dir nur vor, was du alles erreichen könntest. Vielleicht erhältst du sogar den Nobelpreis für Physik, während ich mir ENO und die anderen Kläffer vom Hals schaffe, die nach meinem Bein schnappen. Vater und Sohn gemeinsam. Söhne. Na, was sagst du dazu?«
David spürte Bobbys Blick auf sich ruhen. »Ich schätze…«
Hiram klatschte in die Hände. »Ich wusste, du würdest ›Ja‹ sagen.«
»Das habe ich noch nicht.«
»Schon gut, schon gut. Aber du wirst. Ich spüre es. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.«
David überlief es eiskalt. »Was für ein Plan?«
Hirams Worte überschlugen sich förmlich, als er fortfuhr: »Wenn du weiterhin als Physiker arbeiten würdest, dann hätte ich Wert darauf gelegt, dass du in Europa bleibst. Ich habe mich schlau gemacht. Du hast ein Diplom in Mathematik – korrekt? Dann bist du in einem Fachbereich für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik promoviert worden.«
»In Cambridge, richtig. Hawkings Fachbereich…«
»Das ist ein typisch europäischer Werdegang. Infolge dessen sind deine Kenntnisse in Mathematik auf der Höhe der Zeit. Es ist eben eine andere Kultur. Die Amerikaner sind weltweit führend in praktischer Physik, aber was die Mathematik betrifft, verharren sind sie noch auf dem Stand des Zweiten Weltkriegs. Wenn man also einen theoretischen Durchbruch anstrebt, sollte man sich nicht an jemanden wenden, der in Amerika ausgebildet wurde.«
»Und da bin ich nun«, sagte David kalt. »Mit meiner opportunen europäischen Ausbildung.«
»Papa«, sagte Bobby, »willst du uns etwa erzählen, du hättest es arrangiert, dass David eine europäische Physik-Ausbildung erhielt, nur auf den vagen Verdacht hin, dass er dir einmal nützlich sein würde? Und das alles ohne sein Wissen?«
Hiram straffte sich. »Nicht nur nützlich für mich. Mehr noch für sich selbst. Nützlicher für die Welt. Bessere Erfolgsaussichten.« Er schaute von einem Sohn zum andern und legte ihnen die Hände auf den Kopf, als ob er sie segnen wollte. »Alles, was ich getan habe, war nur zu eurem Besten. Begreift ihr das immer noch nicht?«
David schaute Bobby in die Augen. Bobby wandte den Blick ab. Sein Gesicht war ausdruckslos.
4
WURMWALD
Auszug aus »Wurmwald: Wenn Berge schmelzen« von Katherine Manzoni, verlegt bei Shiva Press, New York, 2033. Auch als Internet-Datensatz erhältlich:
… Wir als Spezies stehen vor gewaltigen Herausforderungen, wenn wir die nächsten Jahrhunderte überleben wollen.
Es hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Auswirkungen der Klimaveränderung weitaus gravierender sind als noch vor ein paar Dekaden angenommen: Die Prognosen dieser Effekte aus den Achtzigern muten im Rückblick geradezu wie kindliches Wunschdenken an.
Wir wissen nun, dass die schnelle Erwärmung in den letzten Jahrhunderten dazu geführt hat, dass etliche metastabile natürliche Systeme auf dem Planeten gekippt sind. Aus dem auftauenden Permafrost-Boden in Sibirien werden Milliarden Tonnen Methan und sonstiger Treibhausgase freigesetzt. Durch die Erwärmung der Ozeane sind weitere riesige Methan-Reservoirs im Kontinentalschelf destabilisiert worden. Nordeuropa steht wegen des Abreißens des Golfstroms eine extreme Kälteperiode bevor. Neue atmosphärische Phänomene – permanente Stürme – scheinen sich über den Meeren und den Landmassen herauszubilden. Das Sterben der tropischen Regenwälder bedingt einen steilen Anstieg des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre. Das allmähliche Abschmelzen der westantarktischen Eisplatte scheint den Druck auf einen versunkenen Archipel zu verringern. Die Wahrscheinlichkeit vulkanischer Aktivitäten nimmt zu, wodurch das Abschmelzen der Eisplatte wiederum stark beschleunigt wird. Die Prognosen für
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