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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Oh…«
    Heather lächelte. »Er hat Angst. Er glaubt, dass er den Tag nicht überleben wird. Er will nicht, dass man diesen Kram mit seinen anderen Sachen nach Hause schickt.«
    David ließ die Sequenz weiterlaufen. Der Soldat warf seine Besitztümer auf den Boden und trat sie mit dem Absatz in den Schlamm.
    »Hör mal«, sagte Heather. »Er singt ein Lied.«
    David regelte die Lautstärke und die Frequenzfilter nach. Der Gefreite hatte einen breiten Akzent, aber die Worte waren dennoch verständlich: »… Im Kreißsaal der sauberen weiß getünchten Hallen / Wo die Toten schliefen und die Sterbenden lagen / Verwundet von Bajonetten, Säbeln und Kugeln / Wurde eines Tages jemandes Liebling geboren…«
    Ein berittener Offizier erschien hinter der Linie. Sein schweißtriefendes schwarzes Pferd tänzelte unruhig. »Aufschließen. Diese Richtung… Aufschließen.« Sein steifer Kommandoton klang fremd für Davids Ohren…
    Eine Explosion krachte, und Dreck spritzte. Die Leiber der Soldaten schienen in große, blutige Fetzen zu zerplatzen.
    David zuckte zusammen. Das war eine Granate. Auf einmal war der Krieg ausgebrochen.
    Der Geräuschpegel schwoll abrupt an: Jubel und Flüche ertönten, das Knattern von Gewehren und Pistolen. Der Gefreite legte die Muskete an, gab einen schnellen Schuss ab und holte eine Patrone aus dem Gürtel. Er biss in die Papierumhüllung und schüttete dass das Pulver vor der Kugel in den Lauf. Reste von Schwarzpulver hafteten am Mund.
    »Man sagt, das Pulver hätte wie Pfeffer geschmeckt«, murmelte Heather.
    Eine weitere Granate schlug neben dem Rad einer Kanone ein. Ein Pferd in der Nähe des Geschützes schien förmlich zu explodieren, und blutige Brocken flogen umher. Ein Mann, der gerade des Wegs gekommen war, stürzte und schaute ungläubig auf den Stumpf, der von seinem Bein noch übrig war.
    Um den Gefreiten brach die Hölle los: Rauch, Feuer, verstümmelte Leiber. Männer krümmten sich auf dem Boden. Er hingegen schien immer ruhiger zu werden und marschierte weiter.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte David. »Er steckt mitten in einem Gemetzel. Wäre es nicht vernünftiger, den Rückzug anzutreten und sich zu verstecken?«
    »Er weiß vielleicht nicht einmal, weshalb dieser Krieg überhaupt geführt wird«, sagte Heather. »Die Soldaten wissen das oft nicht. Im Moment trägt er für sich allein die Verantwortung; sein Schicksal liegt in seinen Händen. Vielleicht verspürt er sogar Erleichterung, dass dieser Moment gekommen ist. Und er erfreut sich des Respekts und der Wertschätzung seiner Kameraden.«
    »Das ist auch eine Art von Wahnsinn«, sagte David.
    »Natürlich ist es das…«
    Sie hörten die Musketenkugel nicht kommen.
    Sie drang dem Gefreiten ins Auge und trat aus dem Hinterkopf wieder aus, wobei sie ein handtellergroßes Stück aus dem Schädel riss. David erkannte eine rot-graue Substanz im Kopf.
    Der Gefreite stand noch für ein paar Sekunden mit der Waffe in der Hand da. Er wurde von Krämpfen geschüttelt, und die Beine zuckten unkontrolliert. Schließlich sackte er zusammen.
    Ein anderer Soldat ließ die Muskete fallen und kniete sich neben ihn. Sachte hob er den Kopf des Gefreiten an und schien zu versuchen, das Gehirn in den zerschmetterten Schädel zurückzustopfen…
    David tippte auf die Steuerung. Die SoftScreen wurde dunkel. Er riss sich den Kopfhörer herunter.
     
    Für einen Moment saß er reglos da. Er wartete, bis die Bilder und Geräusche der grausamen Bürgerkrieg-Schlacht im Kopf verblasst und verstummt und der wissenschaftlichen Ruhe des Wurmwerks mit dem gedämpften Murmeln der Forscher gewichen waren.
    Um sie herum erstreckten sich Reihen ähnlicher Kabinen, in denen Leute an unscharfen WurmCam- Bildern arbeiteten: Sie tippten auf SoftScreens, lauschten den Stimmen im Kopfhörer und machten sich Notizen auf Schmierzetteln. Die meisten Mitarbeiter verdankten ihre Anstellung der Vorlage von Forschungsvorschlägen, die von einem Komitee unter Davids Leitung ausgewertet und dann nach dem Losverfahren ausgewählt worden waren. Andere waren als Hirams Gäste eingeführt worden, wie Heather und ihre Tochter. Es handelte sich um Journalisten, Forscher und Akademiker, die historische Streitfragen lösen und solche, die eine Beweisführung erbringen wollten – unter anderem für ein paar Verschwörungstheorien.
    Irgendwo pfiff irgendjemand die Melodie zu einem alten Kinderreim; ein eigentümlicher Kontrapunkt zum Grauen, das David noch immer im Kopf

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