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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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herumspukte – doch er wurde sich der Bedeutung augenblicklich bewusst. Ein enthusiastischer Forscher hatte sich daran begeben, die einfache Melodie aufzuspüren, auf der angeblich Edward Elgars Enigma Variations aus dem Jahr 1899 beruhte. Es waren viele mutmaßliche Ursprünge genannt worden, von Neger-Gospels und vergessenen Music-Hall-Hits bis hin zu ›Twinkle Twinkle Little Star‹. Nun hörte es sich so an, als ob der Forscher der Wahrheit auf die Spur gekommen wäre, und David rezitierte im Geist den Text zur Melodie: Mary Had a Little Lamb…
    Die Forscher waren hierher gekommen, weil OurWorld der Konkurrenz auf dem Gebiet der WurmCam- Technologie noch immer weit voraus war. Die Tiefe der Vergangenheit, die rückwirkender Betrachtung zugänglich war, nahm stetig zu; manche Forscher waren bereits um drei Jahrhunderte zurückgegangen. Der Einsatz der stärksten Vergangenheitsbetrachter- WurmCams wurde streng kontrolliert, wobei diese restriktive Handhabung in der Öffentlichkeit umstritten war. Die Geräte durften nur in besonderen Einrichtungen benutzt werden, zu denen die Anwender je nach Status eine abgestufte Zugangsberechtigung erhielten und kontrolliert wurden. Die Ergebnisse redigierte man sorgfältig und versah sie vor der Veröffentlichung mit Kommentaren.
    David wusste, wie weit auch immer er zurückschaute, was auch immer er sah, wie auch immer die Bilder bewertet und diskutiert wurden – die Viertelstunde des amerikanischen Bürgerkriegs, die er gerade durchlitten hatte, würde er niemals vergessen.
    Heather berührte ihn am Arm. »Das ist dir ziemlich an die Nieren gegangen, nicht wahr? Aber wir haben erst an der Oberfläche dieses Kriegs gekratzt und kaum mit dem Studium der Vergangenheit begonnen.«
    »Das ist nur ein sinnloses Gemetzel.«
    »Natürlich. Ist es das nicht immer? Der Bürgerkrieg war der erste ›totale‹ Krieg. Mehr als sechshunderttausend Tote und fast eine halbe Million Verwundete in einem Land, dessen Bevölkerung nur dreißig Millionen Menschen betrug. Nach heutigen Maßstäben entspricht das einem Verlust von fünf Millionen Menschen. Dass ein so junges Land sich in einen solchen Konflikt stürzte, ist typisch amerikanisch.«
    »Aber es war ein gerechter Krieg.« Heather behandelte den Amerikanischen Bürgerkrieg im Rahmen der Forschung für die erste WurmCam-LiveBio von Abraham Lincoln, die von einem Historienverein finanziert wurde. »Wird das deine Schlussfolgerung sein? Schließlich hat der Krieg zur Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten geführt.«
    »Das war überhaupt nicht der wahre Kriegsgrund. Wir müssen uns von dieser romantischen Illusion befreien und uns der Wahrheit stellen, die mutige Historiker schon die ganze Zeit verkünden. Der Krieg resultierte aus einem wirtschaftlichen Interessenkonflikt zwischen Nord und Süd. Die Sklaven waren ein ökonomischer Aktivposten im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Und es war ein blutiger Konflikt, der einer ungerechten Klassengesellschaft entsprang. Truppen wurden von Gettysburg nach New York geschickt, um Demonstrationen gegen die Wehrpflicht zu unterdrücken. Lincoln hat etwa dreißigtausend politische Gefangene ohne Gerichtsverhandlung einsperren lassen…«
    David pfiff. »Glaubst du nicht, dass Lincolns Reputation durch diese Erkenntnisse beschädigt wird?« Er bereitete einen neuen Versuch vor.
    Sie zuckte die Schultern. »Lincoln bleibt eine eindrucksvolle Gestalt. Auch wenn er nicht schwul war.«
    Das rüttelte David auf. »Was? Bist du sicher?«
    Sie lächelte. »Nicht einmal bi.«
    Aus der benachbarten Kabine hörte er einen gedämpften schrillen Schrei.
    Heather lächelte ihn müde an. »Mary. Sie schaut sich wieder die Beatles an.«
    »Die Beatles?«
    Heather lauschte für einen Moment. »Der Top Ten Club in Hamburg. Vermutlich im April 1961. Legendäre Auftritte, bei denen die Beatles so gut gespielt haben sollen wie vorher und nachher nie mehr. Diese Szenen sind nicht gefilmt worden und bis heute unbekannt. Mary arbeitet nun jeden der nächtlichen Auftritte ab.«
    »Ähem… Wie steht’s eigentlich zwischen euch?«
    Sie warf einen Blick auf die Trennwand und sagte dann im Flüsterton: »Ich befürchte, dass unser Verhältnis nun endgültig zerrüttet ist. David, ich weiß nicht, was sie während der Hälfte der Zeit macht, wohin sie geht, mit wem sie sich trifft… Sie begegnet mir mit Ablehnung. Heute ist sie nur hier, weil ich sie mit dem Versprechen geködert hatte, sie dürfe eine

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