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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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Figuren waren, nicht bewusst. Doch nicht mehr lange, da würden sie alle ihrem letzten Ziel entgegenstreben, und die Mächtigsten unter ihnen würden ihre Ernte einfahren – und dann bräuchte sie das Schwert.
    Nur einen Moment stellte sie sich die Frage nach dem Warum , während sie staunend verfolgte, wie Soldaten von der Mauer regneten wie Tropfen, die der Sturm von den Blättern bläst, und Janner und April ihren Flugapparat bestiegen und fortflogen. Warum war sie hier, und nicht dort oben bei ihrem Bruder?
    Um es ihm heimzuzahlen – oder um einen Vater zu rächen, den er nicht einmal anerkannte, und der zeit ihres Lebens Opfer des Fluchs gewesen war?
    Um den Trumpf in einem Krieg zwischen Geistern zu spielen; ihr Versprechen gegenüber einem alten, lebensmüden Eolyn zu halten?
    Das Tor wurde geöffnet, und mehrere Soldaten ritten zum Lager vor der Festung hinaus. Die Gewitterwolken verzogen sich ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, und die verängstigte Dienerschaft machte sich ans Aufräumen. Es wurde Zeit.
    Sie stellte sich vor, das Leben einer Söldnerin zu führen, wie M’kar oder Eluaha, und das Handwerk auszuüben, das sie gelernt hatte. Oder sie könnte wie Iason eine Familie gründen, ein Geschäft führen vielleicht. Sie könnte zur See fahren, wie Conald, bis die See ihr erst einen Fuß nahm, dann nach und nach auch den Rest. All das könnte sie tun. Sie fragte sich, was Ianus und sein Mädchen im Norden zu finden hofften. Sie hatte den Norden gesehen – aber vielleicht fanden sie ja etwas, das ihr entgangen war.
    Da stieß die Krähe einen lauten Schrei aus und flatterte davon, und im nächsten Moment bog ein Mann um die Ecke. Er wollte in die Richtung des Hauptgebäudes, doch beim Anblick der Krähe begann er zu rennen, und fast sah es so aus, als wollte er ihr folgen, einfach in die Luft springen und sie jagen, erlegen. Im letzten Moment jedoch besann er sich eines Besseren. Er blickte ihr nach.
    Dann wandte er suchend den Kopf und drehte sich um.
    Er war ihr Vater.
    Nein , sagte sie sich. Natürlich war er nicht Senator Tial. Er war ein Wechselbalg. Wenn er aber ihres Vaters Gesicht besaß …
    Er war der Wechselbalg – Dougal. Sie merkte es an der Art, wie er in ihre Richtung sah, und duckte sich tief hinter ihre Mauer, hoffte, dass es noch nicht zu spät war. Mit klopfendem Herzen harrte sie aus. Auf einmal war sie wieder das zitternde Mädchen von damals, und dann ließ sie ihre Tarnung fallen, weil sie wusste, dass sie nicht gegen ihn half. Sie konnte sich nicht vor ihm verstecken, indem sie zu ihm wurde. Es war seine Gabe, sein Geschenk; ebenso gut hätte sie sich unter einem Betttuch verstecken können.
    Eine Weile war da nur der Lärm der Soldaten, das Pfeifen des Windes in der Mauer. Dann hörte sie, wie sich seine Schritte entfernten. Langsam, wie man vor einem verschreckten Tier zurückweicht.
    Vielleicht wusste er, dass sie von selbst kommen würde.
    Denn wenn er hier war, als Senator Tial … dann wurde es Zeit, den Mann kennenzulernen, in dessen Diensten zu stehen er vorgab.
    Ianus tat, als hätte er der Welt ins Gesicht gesehen und ihre Form geschaut. Er glaubte vielleicht, Cassiopeia wisse nicht, was es hieß, von vorn zu beginnen.
    Nun, er täuschte sich. Sie würde noch einmal von vorne beginnen – doch die Welt würde eine andere sein, wenn es so weit war.
    Sie erhob sich. Schaute sich um. Klopfte sich den Staub vom Umhang und zog ihre Lederrüstung und den Gürtel mit dem Löwen zurecht. Dann legte sie die Hand auf das Schwert und ging ruhigen Schrittes Richtung Thronsaal.
    Die Zeit des Versteckspiels war vorbei.

    Fackeln erhellten den großen Saal, und der Geruch nach Eiern und Speck lag in der Luft. Die Wachen waren erst nicht sehr kooperativ gewesen, doch Cassiopeias Gürtel verschaffte ihr Gehör. Die Angst auf den Gesichtern der Männer rührte aber sicher nicht nur daher.
    Neoris Rodus saß in blutroten Gewändern unter einem Baldachin auf einem schlichten Thron, der wahrscheinlich sonst seinem Gastgeber gehörte. Er war jünger, als sie ihn sich vorgestellt hatte, eigentlich zu jung für einen Kaiser – seine Augenlider aber hingen schlaff herab wie bei einem alten Mann, und eine seiner Hände zitterte wie die eines Trinkers in den Gassen von Ptaraon.
    Der Kaiser war jedoch nicht betrunken.
    Er frühstückte.
    Vor ihm auf einem schmalen Tisch standen eine Schale mit Eiern, daneben ein Tablett mit einem Rest von blutigem Speck, außerdem ein Krug und ein

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