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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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schließlich an, als sie noch etwa hundert Schritt entfernt war. Dann stieg sie ab und kam vorsichtig näher.
    Sie sah April und die Erscheinung, die einander gegenüberstanden. Das goldene Wesen hatte den Kopf schief gelegt und reckte neugierig den Hals. Einen Augenblick lang schien es zu schnüffeln . April war unsicher auf den Beinen, und Cassiopeia glaubte, sie weinen zu hören. Hinter ihr am Boden lag reglos der Zauberer im verbrannten Gras, sein silbrig-blauer Umhang matt vor Staub. Ihr Schwert aber hielt April hoch erhoben.
    Die Tapferkeit des Mädchens rührte und beschämte Cassiopeia. »Wirf dein Schwert weg!«, schrie sie. »Es spürt dein Schwert!«
    Aprils Klinge zuckte herum, sie wandte das Gesicht in ihre Richtung – und da begriff Cassiopeia, dass sie blind war.
    »Du musst es wegwerfen!«, schrie sie wieder, als die Erscheinung einen Satz auf sie zu machte.
    Doch anstatt die Waffe fallen zu lassen, ließ April sie wie einen Blitz nach vorn schnellen.
    Unvermittelt erstarrte die Erscheinung.
    Erst dachte Cassiopeia, April habe sie wider alle Wahrscheinlichkeit getroffen, vielleicht gar verletzt. Eher aber schien es, als hätte das Wesen auf einmal das Interesse an ihr verloren.
    Die Erscheinung ließ von April ab und wandte den Kopf zum Himmel, Richtung des Spalts. Dann breitete sie ihre goldenen Schwingen aus und flog davon.

DIE DUELLE
    S ie fanden einander in den Trümmern des Belagerungsturms, zwei Geister verloren in der Feuerglut. Dougal hatte die Gestalt eines weißen Hirschs; desselben Hirschs, den Lesardre in seiner Not einst angefallen hatte, als er noch jung war und seine neue Existenz nicht verstand. Er erinnerte sich noch gut an das prächtige Tier, dem die Jahrhunderte nichts hatten anhaben können, außer dass sie ihn seiner Farbe beraubt hatten. Er stand inmitten der Flammen, ein Gott in einem brennenden Wald, und schaute ihn an.
    Dann verwandelte er sich, und Lesardre sah wieder in jenes lange nicht geschaute Gesicht, mit dem Dougal einst vor ihn hintrat, das Geheimnis der Schwertmagie zu erlernen. Es war noch genauso jung, und genauso blass. Wie Lesardre hatte Dougal gelernt, Kleider und Rüstung in die Verwandlung mit einzuschließen, und so trug er dieselben Hosen, dieselben Stiefel, dasselbe Kettenhemd wie damals.
    Lesardre schätzte es, dass er sich diese Erscheinung gegeben hatte, auch wenn er mittlerweile zahllose andere sein Eigen nennen musste, und zahllose Seelen in seinen Augen gleich den Flammen ringsherum flackerten. Er wusste nicht, ob es Dougals ursprüngliche Gestalt war, doch er nahm an, dass es die letzte sein würde, die er von ihm sah.
    Sie grüßten einander stumm. Wenn Dougal versucht war, seinem alten Feind und Spiegelbild noch etwas ins Gesicht zu sagen, dann hielten ihn das Grauen oder die Feierlichkeit des Momentsdavon ab. Dann zogen sie ihre Schwerter und machten sich bereit für einen Kampf, so sinnlos wie der Wettstreit von Motten um eine Laterne; denn wenn es einen Gewinner gab bei diesem Kampf, dann war sein Preis die eigene Vernichtung.
    Lesardre deutete Dougal mit der Klinge seine Position, als gälte es ihm eine Lektion zu erteilen; dann hob er sein Schwert und wartete auf den Angriff. Der Angriff kam, und Lesardre war erfreut, mit wie viel Kraft und Geschick er ausgeführt wurde. Dougal war besser geworden. Es hätte Lesardre enttäuscht, wäre es zu einfach geworden.
    So hieben sie inmitten der Trümmer aufeinander ein, in einem selbstvergessenen Tanz, als schmiedeten sie dort in der Glut an einem großen, gemeinsamen Kunstwerk. Lange Zeit wirkte es, als könnte keiner von ihnen die Oberhand gewinnen, und Lesardre war versucht, herauszufinden, ob er seinen Gegner auch ohne die Kunst seiner Magie besiegen könnte – doch der dunkle Teil seiner Seele trieb ihn abermals zur Eile, ihm fiel das Versprechen wieder ein, das er dem Mädchen gegeben hatte; und wie viel lieber er durch ihre als durch Dougals Hand sterben wollte. Er hoffte nur, dass sie ihren Teil der Vereinbarung erfüllte – was für ein Trauerspiel wäre es, als letzter Unsterblicher zu verbleiben, ohne jemanden, der kam, ihn zu richten!
    Es war an der Zeit.
    Er griff Dougal mit den Kräften der Schwertmagie an, zerschlug erst seine Klinge, dann seine Rüstung, dann stieß er ihm sein geflammtes Schwert ins Fleisch und pfählte ihn. Dougals Hand aber fand seinen Kopf und hielt ihn gepackt; und Sieger und Besiegter verschmolzen zuckend in den Flammen zu einer einzigen Skulptur, und man

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