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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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hätte sie hierauf vorbereiten können.
    Der letzte Sturm , dachte sie. Was immer die nächsten Minuten bereithielten, Leiengard hatte entschieden, es geschehen zu lassen.
    »Hört mich an!«, rief der Kaiser abermals – und gerade, als Cassiopeia sich abwenden wollte, vollzog sich das Unmögliche.
    Die Götter wurden des Kaisers gewahr.
    Ein kleines Fleckchen Licht löste sich aus dem Gleißen und zuckte schnell wie ein junger Fisch zu ihnen herüber. Im nächsten Moment wuchs eine goldhelle Gestalt vor dem Kaiser empor, anmutig und glatt wie eine geschmolzene Statue, ohne Konturen, ohne Gesicht, nur Feuer und schreckliche Schönheit. Wo ihr Gesicht hätte sein sollen, schwebten zwei weißglühende Augen, und die Lichtbögen über ihrem Rücken deuteten die Form zweier weit ausgebreiteter Schwingen an.
    »Götter meiner Ahnen!«, rief der Kaiser. »Ich, Neoris Rodus, Kaiser von Pherenaïs und Sonne des Strahlenden Reichs, fordere von euch meine Erhebung!«
    Einen Moment sah es so aus, als zeigte die goldene Erscheinung mit dem Finger auf ihn. Dann schnitt ein gleißender Strahl durch des Kaisers Gestalt, gleich einer Sense, die durch Korn fährt; und die Sonne des Reichs verging in einer Säule aus Rauch und kochendem Blut, die Sekunden später verdampft war.
    Die glühenden Augen wanderten weiter.
    Und mit einem Mal fühlte Cassiopeia, dass sie alleine mit der Erscheinung war: nicht, weil alle anderen geflohen wären, sondern weil etwas an ihr sie anzog – und dieses Etwas waren die Schatten, in die sich Cassiopeia nach wie vor hüllte.
    Sofort ließ sie die Schatten fallen und floh in den Rauch. Ihr Rücken brannte unter dem suchenden Blick der Erscheinung, und alles in ihr schrie danach, sich abermals zu verstecken, doch nichts würde sie zuverlässiger verraten. Eine Sekunde, zwei – dann war sie zwischen den Zelten verschwunden.
    Ein weißer Schemen schälte sich aus dem Rauch. Zuerst begriff sie nicht, was sie sah, dann erkannte sie Lesardres Hengst, der wie ein Geist vor ihr emporwuchs und sie anblickte.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung. Die goldene Erscheinung war wieder da, zerschmolz zu einer blendenden Linse und schoss davon wie ein flacher Stein, den man übers Wasser wirft. Etwas anderes musste ihre Aufmerksamkeit erregt haben. Der Rauch zerriss in einer Böe, und da sah sie es: zwei winzige Gestalten, gut eine Meile entfernt, auf der Flanke des Hügels mit dem alten Steinkreis.
    Sie legte dem Hengst ruhig die Hand auf den Hals. Er wich nicht zurück.
    »Danke«, flüsterte Cassiopeia.
    In der Ferne, auf dem Hügel, blitzte etwas auf, und fast im selben Moment schoss ein kleines, weißes Licht vom Fuße des Steinkreises hoch und zog über ihre Köpfe hinweg, rasend schnell wie eine Sternschnuppe, in Richtung des Spalts, der über der Welt klaffte.
    Cassiopeia schwang sich auf den Rücken des Hengstes und galoppierte los, durch die brennenden Zelte, zwischen denen die Überlebenden orientierungslos umherirrten.

    »Sarik!«, rief April. »Sarik?«
    Sie krallte sich in seinen Umhang, spürte ihn knistern.
    »Ich kann nichts mehr sehen!«
    Der Zauberer aber versteifte sich unter ihrem Griff und begann, sich von ihr zu lösen. Wieder rief sie seinen Namen, doch er antwortete nicht.
    »Was ist passiert? Können wir gehen? Bitte!«
    Ihre Augen schmerzten, und alles, was sie sah, waren tanzende Lichter, bunte Kleckse wie Blüten im Sturm.
    »Bitte hilf mir. Meine Augen …«
    Doch der Zauberer trat einen Schritt beiseite, und fast wäre sie hingefallen. Automatisch zog sie ihr Schwert und ließ Schneeklinge suchend wie eine Wünschelrute hin und her schweifen.
    »Sarik? Sarik!«
    »Tu das nicht. Ich bitte dich«, hörte sie seine Stimme und zuckte herum. Sie erfuhr nie, wen oder was er gemeint hatte, aber sie vergaß nie das Flehen in seiner Stimme, das so gar nicht zu ihm zu passen schien.
    Dann war da ein Blitz, eine grelle Entladung, die selbst ihre geblendeten Augen wahrnahmen, und sie glaubte, jemanden fallen zu hören.
    »Sarik!«
    Im selben Moment schoss etwas an ihr vorbei; und dann trat etwas anderes aus dem schmerzenden Farbensturm auf sie zu, wie ein verschwommener Körper, der vom Grund eines Sees aufsteigt. Sie sah die Erscheinung nicht mit ihren Augen, sondern in ihrem Geist, auf dieselbe Weise, wie sie als Kind die andere Sonne gesehen hatte.
    Was immer es war, es pirschte sich an sie heran.
    Sie hob ihr Schwert, um sich zu verteidigen.

    Cassiopeia ritt langsamer und hielt

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