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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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über die Böen hinweg noch verstand. »Sie greifen den Orden an. Wir müssen schnell …«
    Dann wurde der Wind zu einem ohrenbetäubenden Heulen, und das Letzte, was er sagte, ging darin unter. Sie taumelten den Hügel hinab und rannten, so schnell sie nur konnten, doch der Wind war jetzt so heiß, dass er in den Lungen schmerzte. Die Welt wurde heller, so hell, wie wenn man zu lange in die Sonne blickt, der Boden bebte ein drittes Mal, und dann packte Sarik April und drückte sie an sich.
    Sie schrie auf und vernahm noch undeutlich seine Warnung, nicht hinzusehen und die Augen zu schließen, doch es war schon zu spät.
    Das Licht, dachte sie, das Licht –
    April blickte zurück – und in den letzten Sekunden, ehe der Glanz der höheren Sphären ihre Augen verbrannte, sah sie mit an, wie die Wesenheiten den Orden von Geador mit ihrem göttlichen Feuer vernichteten.

IN FLAMMEN
    D er Eolyn ritt in das Lager, als gehörte es ihm. Hoch auf seinem weißen Hengst ließ er den Blick über die Zelte schweifen; ein Geist, der überlegt, welches Haus er zuerst heimsucht. Das Inferno, das in diesen Minuten über die Festung hereinbrach, erregte ebenso wenig sein Interesse wie die fliehenden Soldaten ihm Beachtung schenkten.
    Er fand das Lazarettzelt und lenkte sein Pferd gelassen darauf zu. Wenn ihm ein Legionär zu nahe kam oder ihn aufzuhalten drohte, fällte er ihn mit einer beiläufigen Geste seines langen geflammten Schwerts. Bald waren seine Beine und die Brust des Schimmels von Blut verschmiert, doch auch das kümmerte ihn nicht. Sein Schmerz war stärker als alles andere.
    Niemand außer seinesgleichen hätte beim Blick in sein Alabastergesicht geahnt, dass jede Minute unter diesem klaffenden Himmel, der direkt in eine andere Welt, eine andere Zeit führte, ihm entsetzliche Qualen bereitete. Es lag nicht nur daran, dass es eigentlich noch Tag war. Er hatte etwas Blut getrunken; gerade genug, um seine Eolyngestalt annehmen zu können, ohne seine Kräfte, seine Sinne zu sehr zu betäuben. Nein, ihm war, als hätte eine unsichtbare Macht in diesem fremden Himmel tausend kleine Haken in sein Innerstes geschlagen und drohte nun, ihn davonzureißen, hinauf in die Wolken – und gegen diese ungeahnte Qual war auch das Blut machtlos.
    Gleichwohl bereitete es ihm eine gewisse Wonne, dass es seinem anderen Ich, das sich irgendwo ganz in der Nähe aufhaltenmusste, kaum besser erging, und darum kostete er jede Facette dieses Leids wie einen guten Wein. Vermutlich, überlegte er, während er einem verängstigten Soldaten, der eine Laterne nach ihm schwang, das Schwert in den Nacken hieb, hatte er seit jener ersten Zeit nach der Schlangengrube nicht mehr so viel empfunden … damals, als nichts die Träume nach ihrem Tod hatte zurückdrängen können.
    Er sprang vom Pferd und blickte sich um. Überall brannten Zelte, und noch immer regnete es brennendes Gestein, während die Wesenheiten sich und ihr Feuer immer tiefer in die Ruinen des Ordens gruben, genüsslich wie ein Jahrmarktsarzt, der einen faulen Zahn aufbohrt. Er fragte sich, wie lange es noch brauchen würde, bis sie ihn oder sein anderes Ich entdeckten. Vielleicht würde das Blut sie auch vor ihnen eine Weile schützen, ihre Witterung überdecken … doch sie konnten sich nicht ewig verstecken. Wahrscheinlich blieb ihm nicht mehr viel Zeit.
    Lesardre war sich durchaus bewusst, dass die Herrscher der höheren Sphären es auf ihn und seinesgleichen abgesehen hatten, auch wenn ihn die Gründe dafür nie wirklich interessiert hatten: ein Usurpator, ein junger Gott, der sich auflehnte, und die Rache der herrschenden Ordnung … Er hatte diese Geschichte so häufig gehört, im Sommerland, Santal und anderswo, dass es ihn ebenso langweilte wie die übrigen Aspekte seiner Existenz. Er hatte Cassiopeia nicht belogen: Der bestimmende Impuls seines endlosen Lebens, der einzige Antrieb, den er noch besaß, war, es zu Ende zu bringen. Wenn er dabei Dougal noch einmal übertrumpfen und dem Mädchen mit seinem Tod eine Freude machen konnte, war er damit zufrieden und fügte sich seinem Schicksal. Letztlich aber war es ihm gleich.
    Nur tief in seinem Inneren, an den Wurzeln seiner alten, kargen Seele – dort, wo die unsichtbaren Haken zogen –, regte sich Widerstand gegen die Vorstellung, die Wesenheiten könnten diesen perfekten Ablauf zunichte machen. Hätte Lesardre sich die Zeit genommen, diesen Widerstand näher zu ergründen, hätte er vielleicht erkannt, dass er ihn sich nicht

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