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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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erklären konnte, denn eswar nicht Stolz noch Furcht noch sonst ein Gefühl, das er einst gekannt hatte; und das hätte vielleicht sein Interesse geweckt. Derselbe dunkle Wille, der an ihm zog und ihn vorantrieb, hinderte ihn aber auch daran, sich zu lange damit zu befassen, und drängte ihn zur Eile.
    Er betrat das Lazarettzelt, achtete nicht auf das Stöhnen der Verwundeten, alleingelassen in diesen Minuten der Angst, und ging zielsicher zum letzten der Feldbetten, auf dem unter einem Laken aufgebahrt das Opfer lag, das Dougal aus der Festung geraubt und ihm hingeworfen hatte. Der junge Wechselbalg hatte noch nicht wieder das Bewusstsein erlangt, seine Wunden waren aber fast schon geheilt. Dougal musste sehr mächtig geworden sein, wenn die Körper seiner Kinder sich so rasch verwandelten.
    Lesardre nahm seinen Dolch und rammte ihn dem Wechselbalg in den Hals. Ein wenig seines Blutes tupfte er sich mit den behandschuhten Fingern auf die Lippen, dann nahm er seine Lebenskraft in sich auf, so wie er es immer getan hatte: Er trank die Seele des anderen, verlor sich aber nicht in ihr; gestattete ihr nicht, ihn zu beherrschen.
    Vielleicht, überlegte er, würde alles anders werden, wenn er sich mit Dougal vereinte. Würde es ihm gelingen, auch ihn in sich aufnehmen – oder würden sie zusammenfließen wie zwei Tropfen, wenn sie einander berührten? Die Vorstellung missfiel ihm, nicht bloß aus Eitelkeit, sondern weil er das Ende ihrer Existenz gerne im Vollbesitz seiner Kräfte erleben würde – und er wusste nicht, ob das nach der Vereinigung noch möglich war.
    Als er fertig war, steckte er den Dolch weg, wischte sich die Handschuhe am Laken ab und verließ das Zelt. Draußen legte er seinem Hengst stumm die Stirn an den Kopf und teilte ihm mit, wen er suchen sollte.
    Dann, im Vertrauen darauf, dass eine Richtung so gut wie die andere war, ging er Dougal suchen.

    Der Belagerungsturm stand in Flammen, eine groteske Skulptur wie die Freudenfeuer der Fealva, die sie im Strahlenden Reich zum Maifest abbrannten; und aus der Festung schossen Lichtstrahlen, als wäre sie ein Prisma, welches das Himmelsfeuer mannigfaltig über das Lager brach.
    Allerorten rissen sich Soldaten die Rüstungen vom Leib, weil sie, kaum dass die unheimlichen Strahlen sie berührten, zu glühen begannen. Cassiopeia roch verbranntes Fleisch und hörte Schreie, und einen Augenblick lang war sie wieder das kleine Mädchen, das durch die brennenden Ruinen seines Elternhauses floh, während alles, was ihm lieb und teuer war, in Flammen aufging.
    Unwillkürlich hatte sie sich in Dunkelheit gehüllt, ein schwarzer Schatten inmitten der flackernden Vernichtung. Dann kündigte sich ein neues Beben an, sie sprang hinter ein Zelt, warf sich flach auf den Boden und schloss die Augen.
    Ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Welt, gleißende Helligkeit hüllte sie ein, und überall um sie herum prasselten Gesteinsbrocken vom Himmel, als feuerten tausend Katapulte. Sie schlug die Augen wieder auf und sah einen Brocken, groß wie ein Haus, der direkt vor ihr auf eine Reihe von Zelten stürzte und einen tiefen Krater schlug. Der Boden erzitterte, eine Staubwolke hob sich empor, dann hörte sie nur noch Schreie und das Prasseln von Steinen.
    Mit klopfendem Herzen wartete sie, bis das Schlimmste vorbei war. Die Luft war so heiß, dass sie kaum atmen konnte. Die ganze Welt war in trübes Goldbraun getaucht, durch das hier und da die Schatten der Überlebenden taumelten. Sie verließ ihre Deckung, um sich zu orientieren.
    Da wurde sie des Kaisers gewahr, der sich in seinem zerrissenen roten Gewand neben die rauchenden Trümmer des Belagerungsturms gestellt hatte und die zitternden Arme zum Himmel reckte. Er rief etwas in Richtung der gleißenden Feuersbrunst, die in den Ruinen der Festung glühte. Strahlende Lichter umkreisten das Inferno, einem Mottenschwarm gleich.
    Der Anblick war so grotesk, dass Cassiopeia unwillkürlich nähertrat, um ihn besser zu verstehen, doch die Hitze hielt sie zurück.
    »Heil!«, rief Neoris Rodus mit zum Himmel erhobenen Händen. »Heil, ihr Götter! Hört mich an!«
    Cassiopeia blickte sich um. Keiner der herumirrenden Soldaten schenkte der Szene Beachtung. Sie entdeckte die Leibwächter des Kaisers, die gemessenen Abstand hielten. Sie fragte sich, ob sie ebenfalls den Befehl zum Rückzug erhalten hatten, und weshalb sie noch hier waren. Vielleicht hielt sie die Ehre, doch die Karsai blickten wie Kinder – keine Schule der Welt

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