Das Licht Von Atlantis
doch«, gab Domaris geistesabwesend zurück, und gleich darauf erklärte sie mit träumerischer Entschlossenheit: »Nein, nichts ist in Ordnung - oder wird in Ordnung sein.« Sie drehte sich auf die Seite und blickte lächelnd zu Deoris auf. Impulsiv begann sie: »Deoris -« und ebenso plötzlich verstummte sie wieder.
»Was ist denn nur, Domaris?« drängte Deoris. Wieder spürte sie die namenlose Angst, die sie vor wenigen Augenblicken bei der Rückkehr ihrer Schwester ergriffen hatte.
»Deoris - kleine Schwester -, ich gehe zu der Erbarmenden.« Sie faßte Deoris' Rechte und fuhr fort: »Schwester - kommst du mit mir?«
Deoris starrte sie mit offenem Mund an. Dem Schrein der Erbarmenden, der Göttin Caratra näherte man sich nur für bestimmte Rituale oder in akuten geistig-seelischen Krisen.
»Ich verstehe nicht«, sagte Deoris langsam. »Warum... warum?« Sie streckte ihre freie Hand aus und umfing Domaris' Hand. »Domaris, was geschieht mit dir?«
Verwirrt und erregt wie sie war, vermochte Domaris kein Wort über die Lippen zu bringen. Sie hatte nie daran gezweifelt, welche Antwort sie Micon geben würde - er hatte ihr verboten, sich sofort zu entscheiden -, aber tief in ihrem Herzen war etwas, das nach Trost verlangte, und mit dieser Sorge konnte sie sich nicht an Deoris wenden. Denn so nahe sie sich auch standen - Deoris war noch ein Kind.
Deoris, die nie eine andere Mutter als Domaris gekannt hatte, empfand die plötzliche Entfremdung zwischen ihnen mit aller Schärfe. Mit klagender, halb erstickter Stimme rief sie: » Domaris!«
»Oh, Deoris!« Domaris befreite ihre Hand. » Bitte , stell mir keine Fragen!« Doch da sie nicht wollte, dass die Kluft zwischen ihnen noch breiter wurde, setzte sie sofort sanft hinzu: »Willst du nicht einfach mit mir kommen? Bitte!«
»Natürlich will ich«, murmelte Deoris. Sie spürte einen merkwürdigen Kloß in ihrer Kehle.
Domaris lächelte und setzte sich auf. Sie umarmte Deoris, gab ihr schnell einen Kuss und wollte sich wieder zurücklegen. Aber Deoris hielt sie fest, als spüre sie mit ihrem kindlichen Instinkt, dass Micon vor noch nicht langer Zeit hier geruht hatte, und es war, als wolle sie seinen noch verweilenden Geist vertreiben.
Fast die gesamte Länge des Tempelbezirks lag zwischen dem Schrein Caratras, der Erbarmenden Mutter, und dem Haus der Zwölf, und ein langer Weg unter tropfnassen, blühenden Bäumen führte dorthin. Im kühlen Zwielicht hing der schwere Duft von Rosen und Verbenen. Die beiden Schwestern schwiegen, die eine konzentriert auf ihre Mission, die andere dieses eine Mal um Worte verlegen.
Der Schrein leuchtete weiß vom anderen Ufer eines ovalen Teichs herüber. Das Wasser war von kristallener Klarheit und tiefblau unter dem hohen Gewölbe des aufklarenden Himmels. Als sie sich ihm näherten, trat die Sonne, die im Westen sank, für ein paar Augenblicke hinter einem Gebäude hervor und beleuchtete die Alabasterwände des Heiligtums. Stechender Weihrauchgeruch wallte über das Wasser zu ihnen herüber; der Schrein funkelte und lockte.
Domaris merkte, dass Deoris die Füße nachzog und setzte sich unvermittelt in das Gras am Wegrand. Sofort gesellte Deoris sich zu ihr. Hand in Hand ruhten sie eine kleine Weile aus und betrachteten die glatte Oberfläche des heiligen Teiches.
Die Schönheit und das Geheimnis des Lebens, der Neuerschaffung, verkörperte sich hier in der Göttin, die Frühling und Mutter und Frau war, das Symbol der sanften Kraft, die die Erde ist. Um zum Schrein Caratras zu gelangen, musste man durch das brusthohe Wasser des Teichs waten. Diesem Reinigungsritual unterzog sich jede Frau des Tempelbezirks mindestens einmal im Leben, aber nur diejenigen, die der Priesterkaste entstammten, sowie die Akoluthen wurden darin unterwiesen, wo seine Bedeutung lag: Jede Frau kam auf diesem Weg zur Reife, im Kampf gegen entgegengesetzte Strömungen, die tiefer als Wasser waren und schwerer zu durchwaten. In Stolz oder Verzweiflung, in Freude oder Kummer, in kindischem Widerstreben oder in Hingabe, in Ekstase oder Rebellion - jede Frau gelangte eines Tages dahin.
Domaris sah auf das helle Wasser und erschauerte; die Symbolträchtigkeit ängstigte sie. Als Akoluthin war sie in dies Mysterium eingeführt worden und verstand es, und dennoch zögerte sie jetzt furchtsam. Sie dachte an Micon und an ihre Liebe, aber eine Art prophetischer Ahnung hielt sie davor zurück, ins Wasser zu steigen. Wortlos um Ermutigung bittend, schloss
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