Das Licht Von Atlantis
nicht getötet. Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen, du weißt doch, dass sie nicht ganz gesund war. Außerdem -« Karahama beugte sich zu Deoris nieder und sagte mit ihrer freundlichen, resoluten Stimme, die Domaris' Stimme so ähnlich und doch so unähnlich war: »Du bist eine Tochter des Tempels. Und du kennst das wahre Gesicht des Todes. Es ist die Tür zu einem anderen Leben und nichts, wovor man Angst haben muss -«
»Ach, lass mich in Ruhe!« heulte Deoris.
»Kommt nicht in Frage«, erklärte Karahama fest. Selbstmitleid war für sie ein unerlaubtes Gefühl, und ihrer Meinung nach hatte Deoris sich in krankhafte Vorstellungen verrannt. »Arkati hat Mitleid nicht nötig! Also hör auf, um dich selbst zu weinen. Steh auf, bade und zieh dich ordentlich an, und dann gehst du und kümmerst dich um Arkatis kleine Tochter. Du trägst die Verantwortung für sie, bis ihr Vater Anspruch auf sie erhebt. Auch musst du Schutzzauber über sie sprechen, damit sie sicher vor den Kobolden ist, die mutterlose Kinder holen -«
Obwohl sie innerlich gegen den Auftrag rebellierte, tat Deoris, wie ihr geheißen worden war. Es gab ein Dutzend Dinge zu erledigen: Sie musste eine Amme besorgen und das Kind mit Schutzrunen zeichnen. Der richtige Name eines Kindes war ein heiliges Geheimnis; er war in den Schriftrollen des Tempels eingetragen und wurde außer bei Ritualen niemals laut ausgesprochen. Deshalb gab Deoris dem Neugeborenen jetzt einen Namen, bei dem es gerufen werden würde, bis es erwachsen war: Miritas . Der Säugling zappelte in ihren Armen, und Deoris dachte unglücklich und verächtlich: Schutzzauber, pah! Welcher Zauber hätte Arkati retten können?
Karahama sah dem mit stoischer Ruhe zu, aber es bekümmerte sie mehr, als sie sagen konnte. Sie alle hatten gewusst, dass Arkati nicht am Leben bleiben würde. Man hatte sie bei der Heirat gewarnt, sie solle nicht versuchen, ein Kind auszutragen. Die Priesterinnen hatten ihr Runen und Zauber und Geheimmittel gegeben, um dies zu verhindern. Arkati hatte ihren Rat wissentlich in den Wind geschlagen und für ihren Eigensinn mit dem Leben bezahlt. Nun gab es ein weiteres mutterloses Kind, für das gesorgt werden musste.
Karahama hatte klug gehandelt. Sie verstand Deoris in mancher Hinsicht besser als Domaris. So unähnlich sie sich waren, hatten sowohl Deoris als auch Karahama von Talkannon die sture, hartnäckige Entschlossenheit geerbt. Die Priesterin Caratras wusste, dass Groll Deoris eher anspornen würde als Triumph; da sie Schmerz und Tod hasste, würde sie schwören, dagegen anzukämpfen. Hätte sie ein anderes Mädchen gezwungen, Zeugin einer solchen Tragödie zu werden, wäre es wohl vor Entsetzen geflohen und Karahama hätte für immer eine Jungpriesterin verloren. Deoris jedoch würde gerade deswegen bleiben.
Karahama sagte nichts davon. Sie fand es klüger, die Erkenntnis langsam reifen zu lassen. Als für das Neugeborene alles getan war, beurlaubte sie die Heilerin Deoris für den Rest des Tages von ihren übrigen Pflichten. »Du hast heute nacht nicht geschlafen«, setzte sie trocken hinzu, als Deoris ablehnen wollte. »Deine Hände und Augen würden nichts mehr leisten. Also leg dich hin!«
Deoris versprach es mühsam. Dennoch stieg sie nicht die Treppe zu den Schlafräumen hoch, die den im Tempel dienenden Frauen zur Verfügung standen, sondern schlüpfte durch eine Seitentür hinaus und rannte zum Haus der Zwölf. Sie hatte nur einen Gedanken, mit all ihren Sorgen zu Domaris zu laufen. Ihre Schwester würde sie jetzt bestimmt verstehen, sie musste es!
Ein feuchter Sommerwind kündigte weiteren Regen an. Deoris band sich ihre Schärpe fest um Hals und Schultern und rannte wild über die Rasenflächen. Um eine scharfe Ecke biegend, wäre sie beinahe mit der stattlichen Gestalt Rajastas zusammengestoßen; der Priester kam gerade aus dem Haus. Deoris blieb kurz stehen, um das Gleichgewicht wiederzufinden, stammelte atemlos ein paar Worte der Entschuldigung und wollte weiterlaufen. Aber Rajasta mahnte sie lächelnd: »Achte auf deine Schritte, liebes Kind, du wirst dich verletzen. Domaris erzählte mir, du habest in Caratras Tempel Dienst getan. Ist deine Zeit dort zu Ende?«
»Nein, ich bin nur für heute beurlaubt«, antwortete Deoris höflich, doch vor Ungeduld zappelnd. Rajasta schien es nicht zu merken.
»Dieser Dienst wird dir Weisheit und Verstehen bringen, kleine Tochter«, meinte er. »Er wird aus dem Kind, das du bist, eine Frau machen.« Für
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