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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Erinnerung.
    »Der Roc! Der Vogel Roc!«, hörte sie den alten Ammon gegen den heulenden Wind rufen, während sich eine weitere Sage vor ihren Augen als wahr zu erweisen schien.
    Aber natürlich war es kein riesenhafter Vogel, der ihnen aus der von flackernden Blitzen erhellten Wolkenbank entgegenkam. Das Schauspiel war deshalb allerdings nicht weniger eindrucksvoll.
    Unzählige Vögel, Vertreter der verschiedensten Spezies, flatterten auf ihren Schwingen heran: Adler und Kraniche, Schneehühner und Wildgänse, kleine Singvögel ebenso wie riesenhafte Aasfresser. Zu einem riesigen Pulk zusammengerottet, der allen Regeln der Biologie zu widersprechen schien, stürzten sie aus den dunklen Wolken.
    Der Anblick war so Ehrfurcht gebietend, dass Sarah keinen Augenblick zweifelte, dass dies der wahre Kern war, der der Sage vom Vogel Roc zugrunde lag - denn das tausendfache Kreischen, das der Wind herübertrug, hörte sich tatsächlich wie der fürchterliche Schrei einer einzelnen, riesenhaften Kreatur an.
    »Hört nur, hört!«, rief el-Hakim. »Es ist der Vogel Roc! Wir sind auf dem richtigen Weg!«
    »Allmächtiger!« Friedrich Hingis, der ebenfalls vorn an der Reling stand, betrachtete das Herannahen der Vögel mit weniger Begeisterung, zumal die Winde, die am Luftschiff zerrten, immer noch stärker wurden. »Sie kommen auf uns zu! All diese Vögel kommen genau auf uns zu!«
    Der Schweizer hatte recht. Der Anblick des riesigen Pulks hatte Sarah für einen Augenblick so gefesselt, dass ihr die Gefahr, in der sie alle schwebten, gar nicht bewusst geworden war. Tatsächlich aber hatten die Vögel ihre Flugrichtung geändert und hielten nun geradewegs auf das Luftschiff zu. Und im selben Moment wurde Sarah auch bewusst, dass es nicht ein Jahrtausende alter Mythos war, der die Tiere zu diesem Verhalten trieb, sondern die Furcht vor dem nahenden Sturm.
    »Hör auf zu schreien, alter Narr!«, herrschte Abramowitsch el-Hakim an, der lauthals lachte, ausgelassen wie ein Kind. »Du lockst sie an!«
    »Unsinn«, widersprach Sarah. »Die Vögel fliehen vor dem Unwetter - und das sollten wir auch tun, wenn wir am Leben bleiben wollen.«
    »Sie ... Sie haben recht«, pflichtete der Russe ihr in seltener Zustimmung bei. Aber er kam nicht mehr dazu, Balakow eine entsprechende Anweisung zu erteilen. Denn in diesem Moment erfasste eine Bö das Luftschiff, die stärker war als alle vorangegangenen.
    Der Auftriebskörper wurde breitseits getroffen und emporgerissen, ebenso wie die darunterhängende Gondel. Ein erstickter Schrei war gegen das Brausen des Windes zu vernehmen, und Sarah blickte nach oben - nur um zu sehen, wie Pjetr, den Balakow zur Schadensüberprüfung in die Wanten geschickt hatte, den Halt verlor und stürzte. Einen Augenblick gelang es dem Matrosen noch, sich einzuklammern, aber das Gewicht seines eigenen Körpers riss ihn in die Tiefe. Das Tau entwand sich seinem Griff, und mit einem gellenden Schrei auf den Lippen kippte er in die bodenlose Leere.
    Der Besatzung blieb keine Zeit, um den Verlust des Kameraden zu betrauern. Obwohl Kapitän Balakow versucht hatte, den Vögeln auszuweichen, würde es zum Zusammenstoß kommen. Der Pulk war inzwischen so nahe, dass er den östlichen Himmel verdunkelte; vom Sturmwind getragen, jagten die Tiere pfeilschnell heran, und es war absehbar, was geschehen würde, wenn sie auf das Luftschiff trafen.
    »Die Gewehre!«, rief Sarah. »Vielleicht ändern sie ihre Flugrichtung, wenn wir ein paar von ihnen erlegen!«
    Abramowitsch schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn Igor und er standen bereits an der Reling, die Gewehre in den Händen.
    »Mein Revolver«, verlangte Sarah, und der Ochrana-Agent gab ihn ihr ohne Zögern. Dann feuerten sie, gaben Schuss um Schuss auf die Schimäre ab, die den Himmel vor ihnen verfinsterte und sich mit beängstigender Geschwindigkeit näherte.
    Einzelne Vögel wurden getroffen und sackten in die Tiefe, aber die Wirkung der Kugeln war zu gering, um Eindruck auf die in Panik geratenen Tiere zu machen, und der Donner, der von den Gipfeln herabdrang, war so mächtig, dass er den Schusslärm verschluckte.
    »Es hat keinen Sinn!«, rief Sarah verzweifelt. »Wir können sie nicht aufhalten!«
    »In Deckung!«, brüllte Abramowitsch und duckte sich hinter die Wandung der Gondel, deren Kanvas sich zum Zerreißen blähte. Er schickte einige Worte auf Russisch hinterher, von denen nicht festzustellen war, ob sie ein Gebet oder eine Verwünschung waren.
    Rasch

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