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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Bord zu springen, was sein sicheres Ende bedeuten würde.
    »Nein!«, rief Sarah, aber der junge Inder war so panisch, dass er nicht hörte. Schon hatte er seinen Fuß auf die Reling gesetzt ...
    Kurzerhand löste Sarah ihre eigene Leine und sprang auf, um den Inder zu packen und ihn zurück in die Gondel zu ziehen. Nach allem, was in Rampur geschehen war, fühlte sie sich verantwortlich für ihn und wollte nicht zulassen, dass er sich in den Tod stürzte. Doch einen Sekundenbruchteil ehe sie ihn erreichte, wurde die ›Kamal‹ frontal von einer weiteren vernichtenden Bö erfasst - und diesmal war es zu viel für das Schiff.
    Zwei der Taue, die die Gondel hielten, rissen mit hässlichem Knacken, die Plattform kippte zur Seite. Chandra verlor den Halt und stürzte, allerdings nicht ins Leere, sondern in die Kanvasbespannung der Reling, die ihn wie eine Hängematte auffing. Der junge Inder schrie aus Leibeskräften, wand sich wie ein Insekt, das auf den Rücken gefallen war. Sarah, die sich mit dem Ellbogen an einem der Querträger eingehakt hatte, beugte sich zu ihm und streckte die Hand nach ihm aus. »Hier«, rief sie, »greif zu!«
    Trotz seiner Todesangst begriff der Neffe des Radschas und versuchte, ihre Rechte zu erreichen. Ihre Fingerspitzen berührten sich, und Sarah wollte schon aufatmen - als der durchnässte Kanvas plötzlich riss und seine Last freigab.
    Als würde er von unwiderstehlicher Kraft in die Tiefe gesogen, verschwand Chandra durch den Riss. Sarah schrie entsetzt, aber ihr Schrei ging im Tosen des Windes und im Prasseln des Regens unter, der immer noch stärker wurde. Schon hatten sich Hülle, Gepäck und Kanvas vollgesogen und sorgten dafür, dass es steil hinabging, dem schroffen, schneebedeckten Fels entgegen.
    Sarah sah, dass Abramowitsch nach einem Beil gegriffen hatte. Über die schräge Fläche der Gondel arbeitete er sich nach oben und begann, auf die noch haltenden Taue einzuschlagen.
    »Um Himmels willen!«, schrie Hingis, der sich zusammen mit Ufuk und el-Hakim im Bug festklammerte. »Was tun Sie da?«
    Abramowitschs Antwort war nur halb zu verstehen, aber sie war deutlich genug. »... kappen ... sonst verloren ... Hülle allein ...«
    Allen Vorbehalten zum Trotz, die sie dem Ochrana-Agenten gegenüber hatte, begriff Sarah sofort, dass Abramowitsch recht hatte. Das Gewicht der Gondel würde sie unkontrolliert nach unten ziehen und gegen einen der Felsen schmettern. Wenn sie überleben wollten, musste alles dafür getan werden, dass sie in der Luft blieben, auch wenn es bedeutete, dass sie die Gondel zurücklassen und sich in die Reste der Takelage flüchten mussten.
    Auch Hieronymos schien das einzuleuchten. Gemeinsam mit Igor ging er daran, die verbliebenen Taue zu durchschneiden, während sich der Rest der Besatzung anschickte, in die Wanten zu klettern. Während Ufuk auf el-Hakim achtete, hatte Sarah ein Auge auf Hingis, dessen fehlende Hand ein tödliches Risiko war. Heulender Wind zerrte an ihnen und bewarf sie mit eiskaltem Wasser, während sie mit buchstäblich letzten Kräften in die Takelage stiegen und sich dort so gut es ging mit losen Seilen sicherten. Hände, die vom Klettern kraftlos und von der Kälte zu klamm waren, um verlässliche Knoten zu binden, erwiesen sich als weitere Schwierigkeit, aber es gelang ihnen dennoch.
    Tau um Tau wurde gekappt, und schließlich gesellten sich auch Abramowitsch und Igor zu den anderen in die Takelage. Hieronymos war der Vorletzte, der die Gondel verließ, die nur noch an dünnen Seilen hing und jeden Augenblick abstürzen würde. Zurück blieb Kapitän Balakow, der der Tradition folgend, sein Schiff als Letzter verlassen wollte - doch es kam nicht mehr dazu.
    Die Seile rissen, und das Letzte, was Sarah von Balakow sah, war sein entsetztes Gesicht in der sich überschlagenden Gondel, die unter ihnen in den Wolken verschwand. Der Auftriebskörper jedoch, seiner Bürde ledig, schoss wie von einem Katapult geschleudert in die Höhe, fast wie ein Korken, der nicht untergehen konnte. Dass die Hülle beschädigt war und man Heißluft abgelassen hatte, spielte keine Rolle mehr, denn zum einen hatte sie keine Last mehr zu tragen, zum anderen war sie längst zum Spielball der Winde geworden und ihren Launen schonungslos ausgesetzt.
    Ein Inferno tobte.
    Dunkelgraue, fast schwarze Wolken umgaben den Auftriebskörper, an den Sarah und ihre Gefährten sich klammerten wie Schiffbrüchige an eine Planke, während Wind und Regen auf sie einschlugen

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