Das Licht von Shambala
vielleicht, weil ich erfahren habe, dass Wissen auch eine Waffe sein kann.
In den Ruinen der Bibliothek von Alexandrien erklärte man mir einst, dass die Bruderschaft des Einen Auges sich vor Bibliotheken fürchte, dass sie sie mit der zerstörerischen Kraft des Feuers bekämpfe, weil sie den Menschen Kenntnisse vermittelten, die nicht für sie bestimmt wären.
Seither habe ich einen weiteren Grund, Bibliotheken zu besuchen und in alten Büchern nach der Wahrheit zu suchen ...
O SMANISCHE S TAATSBIBLIOTHEK
B AYAZIT , K ONSTANTINOPEL
20. M ÄRZ 1885
Die Kutuphanei Osmaniye, wie die große Bibliothek im Stadtteil Bayazit hieß, war die erste staatlich geführte Bibliothek des Osmanischen Reiches und hatte erst im vergangenen Jahr ihre Pforten geöffnet - tatsächlich jedoch blickte das Bibliothekswesen am Bosporus auf eine mehr als achthundertjährige Tradition zurück.
In alter Zeit waren es vor allem die Moscheen gewesen, die Handschriften aufbewahrt und für die Nachwelt gesammelt hatten, erst später war durch Stiftungen von Herrschern und Geistlichen auch der Aufbau eigenständiger Bibliotheken ermöglicht worden. So beherbergten Sammlungen wie jene Suleimans des Prächtigen in der nach ihm benannten Moschee, die im Topkapi-Palast untergebrachte Bibliothek Ahmeds III. oder die 1739 gegründete Bibliothek Mahmuds I. in der Hagia Sophia islamische Handschriften in einer Anzahl, die ihresgleichen suchte: Buchstäblich Hunderttausende von Manuskripten lagerten in den Regalen, die alle zu durchforsten ein Menschenleben nicht ausgereicht hätte; Sarah entschied sich, ihr Glück in der jüngsten Bibliothek der Stadt zu versuchen - nicht nur, weil deren Bestände auch westliche Literatur sowie Bücher in griechischer und lateinischer Sprache enthielten, sondern auch, weil Friedrich Hingis im Zuge seiner Suche nach einem Schriftkundigen bereits Kontakt zu einem der Kuratoren der Kutuphanei Osmaniye aufgenommen hatte.
Der Name des Kurators war Dr. Yussuf Galib, ein Osmane, der der westlichen Welt aufgeschlossen war, ja, der sogar zu jener jungen Generation von Osmanen gehörte, die die eigene Kultur gegenüber der abendländischen als rückständig und weniger fortschrittlich erachteten. Sarah hatte, dies betreffend, ihre Zweifel, aber sie hütete sich, Dr. Galib etwas davon zu sagen. Was sie vor allem brauchte, waren Informationen über die Arimaspen. Ein Diskurs über die vermeintlichen Segnungen westlicher Zivilisation wäre diesem Ziel wenig förderlich gewesen.
Es dauerte einen ganzen Tag, bis Galib seine Vorgesetzten davon überzeugt hatte, Sarah eine Forschungserlaubnis auszustellen, die ihr Zugang zur Bibliothek gewährte. Dass sie Ausländerin war, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle; viel schwerer wog die Tatsache, dass sie eine Frau war, und zumindest was ihre Einstellung gegenüber dem weiblichen Geschlecht betraf, schien es zwischen den Gelehrten der westlichen und jenen der östlichen Welt eine schweigende Übereinkunft zu geben, ein gentlemen agreement gewissermaßen. Schließlich ließen sich die Bibliotheksvorsteher jedoch dazu herbei, der »seltsamen Engländerin«, wie sie Sarah nannten, Zugang zumindest zur antiken Sammlung zu gewähren, allerdings unter der Auflage, dass Dr. Hingis sie begleiten und jeden ihrer Schritte sorgsam beobachten sollte - als eine Art wissenschaftliche chaperone 14 gewissermaßen. Und noch jemand begleitete Sarah zur Bibliothek.
Der junge Ufuk.
El-Hakim hatte darauf bestanden, dass Sarah seinen jungen Diener mitnahm und ihn in den Grundprinzipien wissenschaftlicher Recherche unterwies. Ufuk, so hatte der alte Ammon in seiner Weisheit argumentiert, werde in einer Zeit aufwachsen, in der die Grenzen zwischen Ost und West zusehends verwischen und die alten Traditionen an Bedeutung verlieren würden; umso wichtiger war es, dass der Junge, auf den der Weise große Stücke hielt, die Wege beider Welten zu beschreiten lernte. Außerdem, hatte er mit der ihm eigenen Heiterkeit hinzugefügt, bedeutete Ufuk in der Sprache der Osmanen »Horizont«, und es sei an der Zeit, diesen Horizont ein wenig zu erweitern.
Als sich die Pforten der Bibliothek endlich vor ihnen öffneten, kamen Sarah und Hingis nicht umhin, tief beeindruckt zu sein, denn die großzügigen Lesesäle und peinlich genau verwalteten Bücherbestände brauchten den Vergleich mit Genf, Oxford oder der Sorbonne nicht zu scheuen. Nachdem Galib sie ein wenig herumgeführt hatte, brachte er sie in die
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