Das Licht von Shambala
nicht zufällig an dieser Stelle in den Stein gehauen waren und es eine besondere Bewandtnis mit ihnen haben musste.
ΑΒΓΔΕ
B ASARVIERTEL , K ONSTANTINOPEL
31 J AHRE SPÄTER
Nachdem el-Hakim seinen Bericht beendet hatte, kehrte beklommene Stille im obersten Stockwerk des konak ein.
»Meister«, brach Sarah endlich das Schweigen, »dieser Mann, dieser britische Sergeant, von dem Ihr mir erzählt habt - wer war er?«
»Hat dein Herz dir das nicht längst verraten?«
»Doch«, räumte sie ein, »aber ich kann und will es nicht glauben.«
»Und dennoch ist es so. Gardiner Kincaid hat einst am Krimkrieg teilgenommen, Sarah, wie so viele andere.«
»Aber - er hasste das Militär beinahe noch mehr als ich!«
»So ist es«, stimmte der Alte zu, in dessen blinden Augen sich das Leid und die Furcht, die die Soldaten damals durchlebt haben mussten, zu spiegeln schien, »und nun kennst du den Grund dafür. Es war die Nacht vor der Schlacht von Inkerman, bei der Tausende den Tod fanden. Vielleicht wäre auch Gardiner unter ihnen gewesen, hätte die göttliche Vorsehung nicht eine andere Aufgabe für ihn bereitgehalten.«
»Die göttliche Vorsehung?«, fragte Sarah.
Der Weise lächelte. »Hast du einen anderen Namen für das, was damals geschehen ist?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Sarah, die noch immer Mühe hatte, die neuen Informationen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, nicht zuletzt deshalb, weil sich ihre Interessen und ihre Emotionen einen heftigen Widerstreit lieferten.
»In dieser Nacht«, erklärte Ammon, »erfuhr Gardiner Kincaid seine wahre Bestimmung. Bis dahin war er ein Abenteurer gewesen, ein ruheloser Wanderer, ein Suchender. Von diesem Augenblick an jedoch hat er nie mehr damit aufgehört, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Er brauchte viele Stunden, um einen Weg aus dem unterirdischen Tempel zu finden. Als es ihm schließlich gelang, war er fast verdurstet. Da der Ausgang weit jenseits der Stelle lag, wo am frühen Morgen die feindlichen Linien verlaufen waren, nahm man an, seine Leute und er hätten einen beherzten Vorstoß auf das feindliche Territorium unternommen, und er widersprach dieser Auffassung auch nicht, weil er andernfalls wohl vor ein Kriegsgericht gekommen wäre. Was er dort unten gefunden hatte, ließ ihn jedoch nicht mehr los. Nach dem Krieg kehrte er nach England zurück und widmete sich fortan der noch jungen Wissenschaft der Archäologie. Vielleicht aus Dankbarkeit, vielleicht aber auch, weil er erkannt hatte, dass dies seine Berufung war.«
»Aber warum hat er mir nie etwas von diesen Dingen erzählt?«, fragte Sarah. »Ich meine, ich wusste, dass er sich erst spät mit der Archäologie befasst hat, und ich wusste auch, wie viel sie ihm bedeutete. Aber er hat mir niemals die Gründe dafür genannt. Ich ahnte ja noch nicht einmal, dass er im Krimkrieg gewesen ist.«
»Das hat nichts zu bedeuten«, versicherte der Alte. »Männer, die im Krieg waren, sprechen oftmals nicht über das, was sie dort erlebt haben. Zu groß ist ihre Furcht davor, dass die Schrecken der Vergangenheit sie wieder einholen könnten.«
»Das verstehe ich«, beteuerte Sarah. »Aber Euch gegenüber hat er sein Schweigen gebrochen, oder nicht?«
»Ja«, stimmte Ammon zu, »aber erst in diesen Tagen beginne ich die Gründe dafür zu verstehen.«
»Was meint Ihr damit, Meister?«
»Ist das nicht offenkundig? Gardiner ist damals auf etwas gestoßen, das seine Aufmerksamkeit erregt hat, und es sollte auch deine Aufmerksamkeit erregen, mein Kind, denn es ist der Hinweis, nach dem du gesucht hast.«
Sarah starrte ihn an. Für einen Augenblick war sie so bestürzt darüber gewesen, wieder einmal etwas über Gardiner Kincaid zu erfahren, von dem sie all die Jahre nicht das Geringste geahnt hatte, dass sie alles andere darüber vergessen hatte - aber natürlich hatte el-Hakim recht! Wenn sich in jenem unterirdischen Tempel auf der Krim das Siegel Alexanders des Großen befand, dann musste das bedeuten, dass der Eroberer dort gewesen war. Und da seine Chronisten kein Wort darüber verloren hatten, war davon auszugehen, dass er im Geheimen gehandelt hatte, im Auftrag der Bruderschaft, die ihn dazu benutzen wollte, sich die Welt zu unterwerfen.
Einmal mehr wandelte Sarah damit auf Alexanders Spuren ...
»All dies hat schon vor langer Zeit begonnen«, murmelte Ammon. »Ich habe dir gesagt, dass etwas bevorsteht, etwas Ungeheures - aber ich beginne eben erst zu erkennen, wie
Weitere Kostenlose Bücher