Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Rauschen und Dröhnen der Wellen, seine uralte Fehde mit den Fenstern fort. Es faszinierte Tom, dass nur er allein all das hören konnte: der einzige Mensch im Umkreis von etwa hundertfünfzig Kilometern. Er dachte an die Möwen, die sich in ihre stacheligen Nester auf den Klippen duckten, und die Fische, die reglos im Schutz der Riffe und des eiskalten Wassers verharrten. Jedes Lebewesen brauchte einen Zufluchtsort.
Tom nahm die Öllampe mit ins Schlafzimmer. Sein Schatten presste sich wie der Scherenschnitt eines Riesen an die Wand, als er die Stiefel auszog und sich bis auf die lange Unterhose entkleidete. Sein Haar war steif vom Salz und seine Haut vom Wind wund gescheuert. Er schlug die Decke zurück, legte sich hin, schlief ein und fing an zu träumen, während sein Körper weiter mit Wind und Wellen schwankte. Die ganze Nacht hielt die Lampe des Leuchtturms hoch über ihm Wacht; ihr Schein durchschnitt die Dunkelheit wie ein Schwert.
Kapitel 4
Jeden Morgen, nachdem Tom bei Sonnenaufgang die Lampe gelöscht hat, macht er sich auf, um einen anderen Teil seines neuen Zuhauses zu erkunden, bevor er sein Tagwerk in Angriff nimmt. Die nördliche Seite der Insel besteht aus einer nackten Granitwand, die dem Ozean darunter trotzig den Kiefer entgegenreckt. Die Landschaft fällt in Richtung Süden sanft ab und verschwindet übergangslos im Wasser der seichten Lagune. Neben dem kleinen Strand befindet sich das Wasserrad, das Süßwasser von der Quelle bis hinauf zum Haus transportiert. Vom Festland bis zur Insel und darüber hinaus weist der Meeresgrund Risse auf, aus denen aus unerklärlichen Gründen Süßwasser quillt. Als die Franzosen im achtzehnten Jahrhundert dieses Phänomen schilderten, wurde es als Mythos abgetan. Doch es gibt im Meer tatsächlich immer wieder Süßwasservorkommen, ein Zaubertrick der Natur.
Tom gewöhnt sich einen festen Tagesablauf an. Es ist Vorschrift, dass er an jedem Sonntag die Flagge hisst, also tut er das als Erstes. Er hisst sie auch, wenn ein Kriegsschiff, wie es ebenfalls in den Vorschriften heißt, an der Insel vorbeikommt. Manche Leuchtturmwärter grummeln wegen dieser Zumutung, doch Tom empfindet die Regelmäßigkeit als beruhigend. Es ist ein Luxus, etwas so völlig Sinnloses zu tun: der Luxus der Zivilisation.
Er fängt an, Dinge zu reparieren, die seit Trimble Dochertys Niedergang schleifen gelassen wurden. Am wichtigsten ist der Leuchtturm selbst, wo neuer Kitt in den Astragalen der Scheinwerferverglasung dringend nötig ist. Als Nächstes besorgt er sich Kieselgur, schleift die wegen der Feuchtigkeit aufgequollene Schreibtischschublade ab und geht noch mal mit der Drahtbürste drüber. Er überpinselt die Stellen auf den Fußböden, wo der grüne Lack abgeblättert ist; bis Handwerker kommen, um den gesamten Leuchtturm zu streichen, wird es sicher noch eine Weile dauern.
Das Gerät weiß seine Bemühungen zu schätzen: Das Glas funkelt, das Messing glänzt, und das Licht dreht sich in seinem Quecksilberbad so mühelos wie eine Raubmöwe in der Luft. Manchmal findet er die Zeit, zu den Felsen hinunterzugehen und zu angeln oder an der Lagune einen Strandspaziergang zu machen. Er freundet sich mit den beiden schwarzen Glattechsen an, die sich im Holzschuppen häuslich niedergelassen haben, und versorgt sie gelegentlich mit Hühnerfutter. Seine eigenen Rationen teilt er sich gut ein, schließlich wird das Versorgungsschiff erst in einigen Monaten wiederkommen.
Es ist harte Arbeit, und er hat alle Hände voll zu tun. Im Gegensatz zu den Schiffsbesatzungen haben die Leuchtturmwärter keine Gewerkschaft, und so streikt niemand für mehr Gehalt oder bessere Arbeitsbedingungen. Hin und wieder ist Tom abends so erschöpft, dass ihm jeder Knochen im Leibe wehtut. Eine rasch heranziehende Gewitterfront macht ihm Sorgen, oder er ärgert sich, weil ein Hagelschauer seinen Gemüsegarten vernichtet hat. Aber wenn er nicht zu gründlich darüber nachdenkt, weiß er, wer er ist, und kennt seine Aufgaben. Er muss einfach dafür sorgen, dass das Licht immer brennt, mehr nicht.
Über das Weihnachtsmanngesicht mit den roten Wangen und dem Bart zog ein breites Grinsen. »Na, Tom Sherbourne, wie kommen Sie zurecht?« Ohne eine Antwort abzuwarten, warf Ralph ihm das dicke, nasse Tau zu, damit er es um den Poller wickelte. Tom sah nach drei Monaten so gesund und munter aus, wie man es sich bei einem Leuchtturmwärter nur wünschen konnte.
Tom hatte auf Ersatzteile für den Leuchtturm
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