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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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morgen früh gehen wir zu Dad und bitten ihn, uns zur Polizei zu begleiten. Dort wird man wissen, was zu tun ist. Und jetzt leg dich wieder schlafen. Du brauchst morgen einen klaren Kopf.«
    Aber schlafen kam nicht infrage. Dazu hatte Hannah viel zu große Angst, alles könnte sich als Traum entpuppen, wenn sie die Augen schloss. Also ging sie in den Garten und setzte sich auf die Schaukel, wo sie so oft mit Frank und Grace gesessen hatte, und betrachtete die vielen Sterne am Firmament, deren Unbeweglichkeit sie beruhigte. Sie waren wie Stecknadelköpfe der Hoffnung in der Nacht, kleine Leben, kaum auszumachen auf dieser Leinwand von einer derart gewaltigen Größe. Doch sie hatte die Rassel. Die Rassel machte ihr Hoffnung. Sie war kein übler Streich, sondern ein Talisman der Liebe, ein Symbol dessen, dass ihr Vater ihr verziehen hatte. Ihr Kind und die Menschen, die es liebten, hatten diesen Gegenstand berührt. Sie erinnerte sich an ihr Studium der klassischen Mythologie und an die Geschichte von Demeter und Persephone. Plötzlich erwachte die alte Legende für sie zum Leben, als sie sich die Rückkehr ihrer Tochter aus der Gefangenschaft vorstellte.
    Sie spürte, nein, sie wusste , dass sie am Ende einer schrecklichen Reise angelangt war. Wenn sie Grace wieder bei sich hatte, konnte sie endlich zu leben anfangen. Gemeinsam würden sie das ihnen so lange versagt gebliebene Glück genießen. Sie ertappte sich dabei, dass sie über lustige Erinnerungen lachte: Frank, wie er sich mit dem Wechseln einer Windel abmühte. Ihr Vater, der sich um Fassung bemühte, als seine Enkelin ihre letzte Mahlzeit über die Schulter seines besten Sakkos von sich gab. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie vor Aufregung Schmetterlinge im Bauch. Sie brauchte nur bis zum Morgen durchzuhalten.
    Sobald sich ein Hauch von Zweifeln in ihre Gedanken schleichen wollte, lenkte sie sich mit Details ab: dass Graces Haar am Hinterkopf vom Scheuern am Bettlaken ein wenig dünner war; die Halbmonde unten an ihren Fingernägeln. Sie hatte ihre Tochter in ihrem Gedächtnis bewahrt, und nun versuchte sie, sie durch schiere Willenskraft zurück nach Hause zu holen. Und zwar indem sie ihr versicherte, dass es einen Ort auf der Welt gab, wo jede Einzelheit an ihr bekannt war. Sie würde sie wohlbehalten nach Hause lieben.
    Die Gerüchteküche in der Stadt brodelte. Ein Schnuller sei gefunden worden. Nein, ein Beißring. Ein Beweis dafür, dass das Baby tot war. Ein Beweis dafür, dass es noch lebte. Der Vater habe es getötet. Der Vater sei ermordet worden. Auf dem Weg von der Metzgerei zum Gemüseladen und von der Hufschmiede zum Gemeindezentrum wurden immer weitere Tatsachen hinzugefügt oder weggelassen und die Geschichte nach Kräften ausgeschmückt, stets begleitet von einem Schnalzen mit der Zunge oder von geschürzten Lippen, um die Aufregung des Sprechers oder der Sprecherin zu verbergen.
    »Mr. Potts, wir bezweifeln keine Minute lang, dass Sie in der Lage sind, Ihre eigenen Einkäufe zu erkennen. Doch wie Sie sicherlich verstehen, stellt die Rassel keinen Beweis dafür dar, dass das Kind noch lebt.« Sergeant Knuckey versuchte den inzwischen aufgebrachten Septimus zu beruhigen, der sich mit gerecktem Kinn und geblähter Brust vor ihm aufgebaut hatte wie ein Preisboxer.
    »Sie müssen der Sache nachgehen! Weshalb hätte jemand bis jetzt warten sollen, um uns die Rassel zu überbringen? Mitten in der Nacht? Ohne Anspruch auf die Belohnung zu erheben?« Sein Bart wirkte noch weißer als sonst, weil er inzwischen hochrot im Gesicht war.
    »Mit allem Respekt, aber woher zum Teufel soll ich das wissen?«
    »Ich möchte Sie bitten, sich die Kraftausdrücke zu sparen, vielen Dank! Es sind Damen anwesend!«
    »Verzeihung.« Knuckey schürzte die Lippen. »Ich versichere Ihnen, dass wir ermitteln werden.«
    »Wie genau?«, beharrte Septimus.
    »Wir … ich … Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich etwas unternehme.«
    Hannah wurde von Verzweiflung ergriffen. Es würde genauso enden wie immer. Dennoch gewöhnte sie sich an, bis spätnachts aufzubleiben und den Briefkasten zu bewachen, für den Fall, dass eine neue Nachricht eintreffen sollte.
    »Genau, und ich brauche ein Foto davon, Bernie«, verkündete Constable Lynch. Er stand an der Theke in Gutcher’s Fotostudio und holte die Rassel aus einem Filzbeutel.
    Bernie Gutcher sah ihn verdattert an. »Seit wann interessieren Sie sich für Babys?«
    »Seit es um Beweismittel geht!«, entgegnete der

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