Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
hat, sie zu belügen und ihr das Baby wegzunehmen? Sie erinnert sich daran, dass Hannah Roennfeldt ihn am Arm berührt hat, und fragt sich, was wirklich zwischen den beiden vorgefallen ist. Dann übergibt sie sich heftig ins Gras.
Das Meer schlug donnernd gegen die Klippe und spuckte Gischt bis hinauf an die Stelle, wo Isabel Hunderte von Metern über dem Wasser an der Felskante stand. Das Wasser war in die Kreuze eingesickert, und Isabels Kleid war feucht.
»Izzy! Isabel!« Der Sturm wehte Toms Stimme fast von der Insel.
Ein Sturmvogel schwebte durch die Luft und kreiste immer wieder, bevor er sich blitzschnell ins Wasser fallen ließ, um nach einem Hering zu schnappen. Doch das Glück und das Wetter standen auf der Seite des Fisches, der sich zappelnd dem Schnabel des Vogels entwand und zurück in die Wellen plumpste.
Tom legte die hundert Meter zurück, die ihn von seiner Frau trennten. Der Sturmvogel ließ sich weiter von den Winden tragen, wohl wissend, dass im aufgewühlten Wasser jeder Fisch leichte Beute war, der nicht Schutz in den tiefsten Riffs suchte.
»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte Tom und zog Isabel an sich. »Lucy wacht jede Minute auf.« Die Polizei hatte ihn eine Stunde lang vernommen. Nun waren zwei Polizisten, mit Schaufeln bewaffnet, unterwegs zu den alten Gräbern am anderen Ende der Insel.
Isabel musterte ihn wie einen Fremden. »Der Polizist hat mir erzählt, jemand habe Hannah Roennfeldt eine Rassel geschickt …«
Er hielt ihrem Blick stand, antwortete aber nicht.
»… jemand habe ihr vor zwei Jahren geschrieben, ihr Baby sei noch am Leben.« Sie rang weiter mit dem, was das bedeuten könnte. »Tom!«, brachte sie nur heraus, und ihre Augen weiteten sich vor Grauen. »Oh, Tom«, wiederholte sie und machte einen Schritt rückwärts.
»Ich musste etwas unternehmen, Izzy. Der Himmel weiß, wie oft ich versucht habe, es dir zu erklären. Ich wollte ihr nur mitteilen, dass ihr Kind in Sicherheit ist.«
Sie starrte ihn an, als versuche sie, Worte zu verstehen, die ihr aus großer Entfernung zugerufen wurden, obwohl sie so dicht bei ihm stand, dass ihm Strähnen ihres Haars ins Gesicht wehten. »Ich habe dir vertraut, Tom.« Sie griff sich mit beiden Händen ins Haar und blickte ihn mit offenem Mund und nach Worten ringend an. »Was um Himmels willen hast du uns da angetan? Was hast du Lucy angetan?«
Sie erkannte die Schicksalsergebenheit in der Haltung seiner Schultern und die Erleichterung in seinen Augen. Als sie die Hände sinken ließ, fiel ihr das Haar wieder ins Gesicht wie ein Trauerschleier, und sie brach in Tränen aus. »Zwei Jahre! Waren die letzten zwei Jahre nichts als eine Lüge?«
»Du hast die arme Frau doch gesehen, verdammt! Du hast gesehen, was wir getan haben.«
»Und sie bedeutet dir mehr als unsere Familie?«
»Es ist nicht unsere Familie, Izz.«
»Es ist die einzige Familie, die wir je haben werden! Was, um alles in der Welt, wird jetzt aus Lucy?«
Er fasste sie an den Armen. »Hör zu, du tust einfach, was ich sage, dann geschieht dir nichts. Ich habe behauptet, dass ich es war, verstehst du? Dass es meine Idee gewesen ist, Lucy zu behalten, und dass du nicht wolltest, ich dich aber gezwungen habe. Solange du das bestätigst, wird dir niemand etwas tun … Sie bringen uns zurück nach Partageuse. Izzy, ich verspreche, dich zu schützen.« Er zog sie an sich und küsste sie auf den Scheitel. »Was aus mir wird, spielt keine Rolle. Ich weiß, dass sie mich ins Gefängnis stecken werden, aber wenn ich rauskomme, können wir immer noch …«
Sie stürzte sich auf ihn und schlug mit beiden Fäusten auf seine Brust ein. »Sprich nicht von ›wir‹, Tom! Nicht nach dem, was du getan hast!« Er machte keine Anstalten, sie abzuwehren. »Du hast deine Entscheidung gefällt! Lucy und ich sind dir völlig gleichgültig. Also erwarte nicht …« Sie suchte nach den richtigen Worten. »Also erwarte nicht, dass es mich kümmert, was von nun an mit dir passiert.«
»Izz … Beruhige dich, du weißt nicht, was du da redest!«
»Nein!« Ihre Stimme wurde schrill. »Ich weiß, dass sie uns die Tochter wegnehmen werden. Das will dir offenbar nicht in den Kopf. Was du getan hast, ist unverzeihlich!«
»Mein Gott, Izz …«
»Du hättest mich genauso gut töten können, Tom! Das wäre besser gewesen, als unsere Tochter zu töten. Du bist ein Ungeheuer! Ein kaltes, egoistisches Ungeheuer!«
Tom stand da und hörte die Worte, die mehr wehtaten als Schläge. Er
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