Das Liebesspiel
er bei seiner Arbeit mit dem Fotoapparat herumlief und einen Block hervorholte, um sich etwas zu notieren, eine gewisse durchdringende Neugier, vielleicht mehr, als die Arbeit erforderte. Eine bestimmte Aufmerksamkeit in der Art, wie er zuhörte, Dinge ansah, so als schaute er durch sie hindurch. Auch seine Sprache war anders, ohne Akzent, jede Silbe deutlich ausgesprochen, poliert war sie, aber nicht auf Hochglanz, eher sehr präzise. Er erinnerte Jane auf seltsame Weise an die neue Straße – auch er hatte etwas Gefestigtes, Einschneidendes, Unabänderliches. So als wäre hinter seinem Gesicht gar kein Gesicht.
Sie schüttelt den Regen vom Schirm, klappt ihn zu. Das Buch ist nass, nicht sehr, nur ein bisschen, Wasser ist in den oberen Rand der Seiten gesickert. Sie tupft mit einem Lappen darauf, Seite um Seite, aber sie werden beim Trocknen dennoch dunkler, eine krause Krümmung nun am oberen Rand, ein Flutlinienfleck.
Als der Ingenieur vorbeikam, um Gid die Miete für den ersten Monat im Austernhaus zu geben, schenkte er ihm die Fotografie. Kein Kunstwerk, sagte er, nur ein Schnappschuss, ganz beiläufig entstanden. Er habe ihn gemacht, als er im vergangenen Sommer zum ersten Mal nach Point gekommen sei. Jane sei rein zufällig darauf. Ohne es zu merken, war sie offenbar ins Bild gelaufen.
Sie mochte das Foto nicht. Es war ihr egal, dass er es gemacht und aufbewahrt hatte, sie fand, ihr Gesicht darauf wirke schief, ihr Mund zu breit, und es ärgerte sie, als ihre Großmutter es in einen Rahmen steckte und in der Stube aufhängte, dass sie es ansehen musste, wie es dort hing, immer wenn sie zum Staubwischen in das Zimmer ging.
Handschuh
JANE
23 . Juli 2004
Ada kocht.
»Du hast es geschafft, Jane. Du wolltest die Ecke dicht zubauen, das hast du jetzt geschafft, richtig zu. Hast uns beide eingemauert.«
Es ist der gerade beendete Zug gewesen – was ich ausgelegt habe, ein S vor I-G-E-L und senkrecht G-I-S −, der den letzten noch offenen Rand blockiert.
G
S-I-G-E-L
S
Eine Strähne von Adas Haar hat sich gelöst. Sie schiebt sie zurück.
»Das hast du doch mit Absicht gemacht«, murmelt sie, runzelt die Stirn, die Augen aufs Brett gerichtet, das Gesicht entschlossen. Sie hat jetzt zwei Möglichkeiten: weiter meckern oder sich fügen. Früher oder später wird eine von uns nachgeben müssen, und ich vermute, Ada erkennt gerade ebenso wie ich, dass diejenige nicht ich sein werde.
Dann tut sie es, sie wirft den Handschuh. Setzt ein I-S unten an das F von C-H-E-F und W-E-N unter T-R-A-U-B-E : »Ein paar Fitzelchen für dich, Jane.«
Sie weiß genau, was sie damit getan hat: mir leichten Zugang zum unteren mittleren Rand des Spielbretts eröffnet, zu einem begehrten dunkelroten Feld mit dreifachem Wortwert. Sie weiß, dass ich nicht zu den Spielern gehöre, die eine Gelegenheit auslassen, wenn sie ihnen serviert wird. Wer würde das schon tun, bei klarem Verstand?
Ich nehme mein Ö und noch ein paar Buchstaben und lege sie senkrecht an G-A-R-E-N . D-Ö-S-E-N fügt sich ganz wunderbar, sauber und ordentlich ein bis zum roten Dreifachfeld. Sechzig Punkte.
Ich habe sie überholt.
Doch dann etwas, womit ich nicht rechne. Sie tut es erneut.
»Ich bin fertig mit dir, Janie«, sagt sie kühl. »Ich bin fertig mit deinem zugestellten Spielbrett.« An das E von R-E-M-I-X legt sie waagerecht H-Ü-P-F-E . Das ist ein mutiger Zug, die Buchstaben ins Freie getrieben, verletzlich dort, ungeschützt. Und sie bekommt nicht allzu viele Punkte. Nur ein Feld mit dreifachem Buchstabenwert – keine extra Gutschrift für das teure Ü . Undenkbar für mich, so etwas Wertvolles für so wenig zu opfern. Dennoch liegt sie wieder knapp vorn.
Ich weiß, was es ist. Ein Köder. Sie will, dass ich anbeiße. Sie weiß: Wenn ich kann, werde ich es tun.
Aber Moment. Moment.
Mein Kopf – für einen Augenblick abgelenkt – dreht sich.
»Jetzt mach schon, Jane«, drängt sie.
Moment. Da ist etwas, was ich nicht sehe.
»Du glaubst, ich lasse nach, Jane, nicht wahr? Ich kenne dich. Ich weiß, dass du es so siehst. Vielleicht hast du ja auch recht: Eventuell eröffne ich dir gerade eine gute Möglichkeit, aber es kann auch sein, dass ich etwas für mich selbst für später vorbereite.«
Ich schaue auf das Wort, das sie gebildet hat. Hüpfe. Das Wort, das das Feld geöffnet hat – ihr Opfer oder ihr Einsatz –, ein Wort, das an und für sich niemals das eine oder das andere sein wollte, sondern nur ist, was
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