Das Liebesspiel
seine Hände es berührt, so seltsam, unabsichtlich, doch als er fort war, blieb dieser Missgriff von Buch alles, was sie noch hatte. Sie schreibt jetzt seltener hinein. Wenn doch, nutzt sie den breiten Rand, die fetten Blöcke weißen Raums am Ende der Kapitel. Besetztes Gebiet.
Sie schreibt nur mit Bleistift, als müssten die Wörter vielleicht widerrufen werden – geliehene Worte größtenteils, aus fremden Mündern gepflückt:
Der Gletscher poltert im Kasten,
Im Bett die Wüste ächzt,
Bis die Straße ins Land der Toten
Aus dem Sprung in der Teetasse wächst.
Sie hat den Sumpf erreicht. Das tote Ding, das darin treibt. Ein Fuchs, meint sie, sei es. Letzten November, um Thanksgiving herum, sah sie ihn zum ersten Mal, er trieb dort einfach herum, tot, aber auf dem Bauch und teils eingetaucht im dunklen Wasser, sodass sie nicht klar erkennen konnte, was es wirklich war. Immer wenn sie im Verlauf des Winters die Brücke überquerte, schaute sie nach ihm, beobachtete, wie das Eis auf ihn zukroch, diesen im Gefrorenen gefangenen Klumpen. Als das Tauwetter kam, setzte er sich in Bewegung. Der Sumpf wurde von Frühlingsschauern überflutet und das Ding trieb erneut weiter. Letztendlich wurde es in der nördlichen Ecke an Land gespült, so gut wie unsichtbar, es sei denn, man wusste, wonach man suchen musste.
Es war der Schädel ihres Vaters, der ihr keine Ruhe ließ – der Schädel, den man ihm zugeschrieben hatte. Nicht das Teil an sich, nicht mal die öffentliche Zurschaustellung, als er gefunden worden war, sondern diese Demonstration wohlverdienter Strafe, dieses symbolische Einschussloch. Er war erschossen worden, so wie er selbst einmal einen Mann erschossen hatte. Als wollte derjenige, der ihn getötet hatte, eines sicherstellen: Auge um Auge, Zahn um Zahn; sein Tod, geformt nach der kunstvollen Symmetrie, die Rache haben kann.
Eine Mücke landet an Janes Hals. Sie fühlt den Stich, bevor sie sie verscheuchen kann. Sie macht sich auf durch den Wald in Richtung Bridge Street.
Sie hatte ihre Arbeit schon früh erledigt, ging anschließend Erdbeeren pflücken im Garten der Witwe, brachte ihrer Großmutter eine Kiste, gab den Hühnern Wasser. Nun muss sie erst wieder zu Mittag bei der Arbeit sein. Die Familie der Witwe aus New York ist zurück, ihre Enkel gehen in New York auf eine Privatschule und haben schon früh Sommerferien bekommen. Es ist gut bezahlte Arbeit, kein Grund, sie abzulehnen – höchstens das Mädchen, inzwischen zwölf Jahre und alt genug, Jane hochnäsig zu behandeln, aber der kleine Junge ist nett, ein süßer Fratz mit dicken roten Bäckchen, klettert gerne auf ihren Schoß und lässt sich nachmittags etwas von ihr vorlesen. Er flicht ihr Haar mit seinen knubbeligen Fingern, zerzaust es ganz und gar.
Als sie über die Brücke zurückgeht, sieht sie die beiden Jungen – den Islington-Sohn und Huck Varick –, sie haben den Anker ihres Ruderboots unter den Betonteilen ausgeworfen, die für den neuen Brückenbogen eingesetzt wurden, und klettern nun hinauf; der kleine Varick vorne, ein Spinnewipp, huscht über das verschraubte Holz, gelangt oben auf das Betonstück, schiebt sich weiter, bis er den äußersten Rand erreicht, stellt sich hin – das schmale, zähe Leuchten seines balancierenden Körpers –, seine ausgestreckten Arme heben sich langsam, bis sich die Hände treffen, über dem Kopf verschränken.
Am Ufer ruft jemand laut, Jane schaut hinüber und sieht den Ingenieur, den Projektleiter. Mit drei langen Schritten kommt er ans Brückengeländer. Er ist völlig angesäuert – seine Stimme wird verstärkt übers Wasser getragen.
»Was glaubt ihr eigentlich, was ihr da macht? Kommt da zum Teufel noch mal runter!«, schreit er.
»Geh du doch zum Teufel!«, schreit Pard Islington zurück.
Der kleine Varick schweigt, reglos, schwebt oben auf dem Betonteil, eine dunkle Silhouette vor dem bedeckten Himmel. Er neigt sich vornüber, hält den Rücken immer noch gestreckt, verlagert sein Gewicht in Zeitlupe nach unten; ruckartig den Kopf eingezogen, mit den Beinen abgestoßen, und er springt, sticht messergleich in die geschundene Oberfläche des Flusses.
Jane geht an dem Ingenieur vorbei, der nicht aufhört zu schreien. Ein weiteres Auto huscht die Straße entlang. Sie verlässt die Brücke. Als sie an Pritchards Laden, an den Tanksäulen vorbeikommt, hält sie wieder Ausschau nach ihrem Großvater Gid, entdeckt ihn jedoch nicht. Sein Schiff ist weg, er muss rausgefahren
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