Das Liebesspiel
Ort – ein Fußballspiel, ein Geschäft –, plötzlich erstarrt alles andere, wird zu Stein oder fällt in tiefen Schlaf, nur er nicht, und er kommt auf dich zu, entkleidet dich langsam …
Das geht mir durch den Kopf, dann fällt mir wieder ein, was er bei unserer ersten Verabredung nebenbei zu mir gesagt hat: Ich möchte dich nackt sehen, und mir kommt der grässliche Gedanke, dass auf beiden Seiten Ideale zerstört werden könnten. Ich kann mich nackt ganz gut sehen lassen, aber ich bin kein junger Hüpfer mehr.
»Ich hab Bier«, sagt er. »O-Saft. Das wär’s.«
»Gerne Wasser«, antworte ich.
Er wirft mir einen kurzen Blick zu. »Draufgängerisch wie eh und je, was?«
»Eher puristisch.«
Er lacht, lässt den Hahn laufen, bis das Wasser kalt wird. Er gibt Eiswürfel in ein Glas, füllt es für mich.
Dein Blut hat tausend Welten abgespeichert, wo er dich zu berühren, in dich einzudringen weiß …
Der kribbelnde Rausch dieses speziellen Gedankens ist mehr als genug, um meinen Körper aufzuwecken, sodass ich mich von dem Stuhl erheben muss, auf den ich mich habe sinken lassen – ich muss mich bewegen, irgendwo hingehen, egal wo, und wohin kann man hier schon gehen – das Haus ist winzig klein –, höchstens zu ihm unter dem Vorwand, das Glas Wasser entgegenzunehmen, irgendwas zu holen, egal was, kühl und still in meiner Hand, das mich zurück auf die Erde bringt. Womit ich nicht rechne, ist, dass ich dabei über ein Stromkabel stolpern werde, das von der Wand zum Fernseher führt, der daraufhin auf seinem Tisch nach vorn rutscht, aber nicht fällt, im Gegensatz zu mir, ich fliege, ein wenig, metaphorisch, pralle mit ihm zusammen, das Wasser läuft über sein Hemd, über mich, ich schlage ihm das Glas aus der Hand, Eiswürfel und Glas zerschellen auf dem Boden zu einem feuchten Kristallchaos.
Ich bücke mich und beginne, die Splitter aufzusammeln, stammle eine Entschuldigung, während er sich ein Geschirrtuch schnappt, um die Flüssigkeit aufzuwischen, und ich denke, ich bin ein zuverlässiger Unglücksbringer, und falls das noch nicht genug ist, schneide ich mir mit einer Scherbe in den Finger, da ich sie für Eis halte, es blutet, bevor ich es merke. Er sieht es. Nimmt meine Hand, wickelt das feuchte Tuch darum, drückt darauf, dann zieht er mich an sich.
»Du bist perfekt«, sagt er, die Lippen an meinem Hals, an meinem Ohr.
Genau dasselbe Wort, das mir auch durch den Kopf geht.
Aber er lässt nicht los, er zieht mich hoch, Glas und Wasser schmelzen auf dem Boden, er führt mich zur Couch unter dem Fenster, meine Hand immer noch in das Geschirrtuch gewickelt, wie Muhammad Ali, und die Orchestrierung des Ganzen ist so unbeholfen, so stockend und echt, und als es losgeht, huscht mir der Gedanke durch den Kopf: Die ganze Zeit habe ich auf das hier gewartet, aber zum Glück bin ich beherrscht oder zynisch genug, um es nicht laut zu seufzen, denn das hier – rede ich mir ein – wird niemals so werden, wie ich es mir ausgemalt habe. Doch fürs Erste ist das Fenster hoch über uns, die Kathedrale eines Fensters, wo sich die Decke in die Höhe streckt, dahinter das nächtliche Feld, das Gras draußen in nacktes Licht getaucht, das ich mir vielleicht einbilde, aber spüren kann – das schaudernde Prickeln draußen im Dunkeln –, halb blicke ich an seiner Schulter vorbei, fühle das Schaudern, Licht auf dem Gras, meine Härchen stellen sich auf, er zieht mir das Oberteil aus, seine Lippen wandern über meinen Körper.
Der BH wird der Stolperstein, denke ich, wie immer .
Er nimmt mein Kinn in die Hand. »Sieh mich an«, sagt er, und als meine Augen auf sein Gesicht fallen, seine Augen sich unter meinen öffnen, dieses unverhüllte, fleckige Grün in ihnen, da merke ich: Dafür bin ich nicht bereit . Er lässt meinen Blick nicht los, lässt mich nicht wegsehen, lässt mich nicht durch die freie, heere Fläche des nächtlichen Fensters in das vertraute Dunkel des Außen flüchten.
Ich liebe Sex. Vögle gerne, werde gerne gevögelt. Komme gerne.
Generell mache ich dabei die Augen zu.
Generell sehe ich nicht zu lange in die Augen von jemand anderem.
Es ist ein Ort, an dem man verbrennt. Gefährlich.
Diese Schwelle.
»Sieh mich an«, sagt er wieder, und ich tue es, denn es ist das, was ich gewollt habe und nicht wollte, am meisten wünschte und fürchtete. Das hier.
Nach zwei Runden Sex landen wir im Schuhkarton – dem kleinen Schlafzimmer hinten im Haus mit offenem Wandschrank und
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