Das Liebesspiel
einschüchtern, eine Kugel an seinem Ohr vorbeischießen, diesem Hurensohn mal ordentlich Schiss einjagen – die Waffe eine . 22 er, die sie unten im Hurrikanhaus aufbewahrten und mit der sie abwechselnd auf Kaninchen, Eichhörnchen und Blechdosen schossen. Eines Abends hatte Huck Pard in den Ohren gelegen, über Luce Weld gemeckert – dass sich seine Eltern ständig stritten, wie viel Ärger dieses Schwein ihnen einbrocke. »Darum kümmern wir uns«, sagte Pard. Einfach so, ganz sachlich. Bei ihm klang es so leicht – ein simpler Plan: Weld im Wald aufspüren, wo er immer auf Jagd ging, Huck sollte ihn ablenken, während Pard auf ihn anlegte und eine Kugel an seinem Ohr vorbeifeuerte. Dieses Schwein würden sie schon vertreiben. Es war nicht so geplant, wie es dann ablief, und es wäre auch nicht so gekommen. Nur dass sich Weld umdrehte, plötzlich einen seltsamen Schritt machte, fast taumelnd in die Bahn der Kugel trat, die an seinem Gesicht vorbeizischen sollte.
Es war eine Dummheit wie jede andere. Wie Steine auf ein vorbeifahrendes Auto zu werfen. Man sieht nichts anderes als das sich bewegende Ziel, Metall und Glas. Man kommt nicht auf die Idee, dass es dabei noch mehr zu verlieren gibt.
Als Weld hinfiel, liefen sie los. Er mochte tot sein, vielleicht auch nicht, sie blieben nicht lange genug, um das herauszufinden. Der Herbstwald drehte sich, sie rannten durch die kreisenden Bäume. Sie blieben nah beieinander, und als Huck einmal stolperte, streckte Pard die Hand aus und fasste nach seiner, zog ihn hoch, und so liefen sie weiter, zwei Narren, die sich an den Händen hielten. Sie gingen zu Swig. Er war der Einzige, zu dem sie damals gehen konnten, und als sie es ihm erzählten, fragte er: »Hat er sich noch bewegt?« Pard sah Huck an und keiner von beiden wusste es wirklich. Es war Pard, den Swig mit zurücknahm zur Kiesgrube. Und als die Jungs sich schließlich später unten im Hurrikanhaus trafen und Pard kein Wort darüber verlor, wusste Huck Bescheid, ohne es wirklich zu wissen, musste es eigentlich gar nicht wissen, wollte es auf gar keinen Fall wissen, bis der Schädel dann aus der Kiesfuhre rollte.
Irgendwann wird er es ihr nachts im Schlaf beichten. Jane, flüstert er. Er kann es ihr nicht sagen. Jane.
Das Schiff schiebt sich an den Kai. Swig stellt den Motor auf Leerlauf. Und sie hat sich umgedreht, nur ganz leicht, ihr Blick folgt ihnen, ihre Augen huschen über das Deck, über ihn, werden weicher, ein Lächeln streift ihren Mund, als sie ihn ansieht, doch gleichzeitig durch ihn hindurch, an ihm vorbei. Nein, nein. Hinter ihm ist nichts. Leerer Fluss, leerer Himmel, die Sonne matt und geschrumpft, nichts hinter ihm. Niemand. Nur Carl. Nein.
Da weiß er es. Ohne sich umzudrehen, weiß er es in einem schwindenden Nu.
Eine erlöschende Kerze, sein Traum von ihr, sonnenüberzitterter Spritztour-Sonnenschein, erstickt. Sein Herz ist wie Papier, im jähen Schmerz des Falls in eine Zukunft, die keinen Platz für ihn hat, ihr schönes Gesicht schaut an ihm vorbei, blickt in diese Zukunft, der Mann hinter ihm, ihr schönes Gesicht, nicht für ihn bestimmt. Niemals. Ohne sich umzudrehen, weiß er Bescheid.
Junge
JANE, SIEBZEHN
Sommer 1962
Sie bemerkt den Varick-Jungen erst, als er vom Boot auf den Kai springt, flink über das Schandeck hüpft, ihr praktisch ins Blickfeld platzt und sie zwingt, ihm nachzusehen. Er will zur Straße, doch sein Weg dahin wird plötzlich von einer Traube Urlauberkinder blockiert, die über den Kai zu dem Boot laufen, das gerade anlegt. Sie sieht, wie er stehen bleibt, eingekesselt, die dichter werdende Masse rückt von allen Seiten an ihn heran und sein Onkel Swig im Ruderhaus ruft ihm nach, er solle verdammt noch mal zurückkommen, aber der Junge hört nicht oder kümmert sich nicht darum, sieht sich nur hastig um, konfus, als suchte er einen Ausweg, doch jede Richtung ist ihm versperrt, außer rückwärts, an Jane vorbei, wo ein schmaler Korridor ist, nur sieht er aus irgendeinem Grund nicht dorthin, bemerkt es anscheinend nicht; dann treffen sich ihre Blicke für einen Sekundenbruchteil und Jane ist betroffen, wie erstaunlich blass seine Augen sind, welche grimmige Farbe sie haben, fast unnatürlich, unwirklich, etwas in seinem Gesicht roh und offen.
Er hat gemerkt, dass er den Kai nur an ihr vorbei verlassen kann. Das will er nicht – sie kann es seinem Gesicht ansehen, als er auf sie zukommt –, etwas in seinem Kiefer verhärtet sich, fast brutal, und sie
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