Das Liebesspiel
Schatten des anderen, immer da, wirft Pard Huck einen Blick zu, so als wollte er noch etwas sagen, aber die anderen beiden sind noch in Hörweite, deshalb tut er es nicht. Pard begleitet sie, läuft die Main Road hoch Richtung Kirche. Huck macht sich auf den Weg über die Brücke, fragt sich, wer zu dieser Stunde wohl vorbeifahren und ihn mitnehmen könnte. Auf halber Höhe sieht er sich zum Anleger um. Er bleibt stehen, sein Blick verharrt. Das stiftschmale Gleißen eines Masts. Die Laura May, das Boot seines Onkels Swig, festgemacht an seinem Liegeplatz. Huck starrt hin, sein Verstand mürbe, wippend, surrend wie ein Insekt, ruhelos.
***
Stimmen wecken ihn, das grobe Kratzen von Sackleinen an seinem Gesicht, der verkrampfte Nacken. Stimmen in der feuchten Dunkelheit, immer noch bläulich, vor Sonnenaufgang, der Geruch von Kaffee, der Geruch von Salz, von kühler Meeresluft.
Sie sind draußen an Deck, sein Onkel Swig und Carl Dyer, der für ihn arbeitet. Als Pitcher beim Baseball auf der Highschool schleuderte Carl einen Fastball, der zur Legende wurde. Pard bewundert generell niemanden, aber Carl hat er den Beinamen Eisenmann verliehen, weil er Schwertfische mit der Harpune jagt wie kein Zweiter. Von der Ecke des Ruderhauses aus, wo Huck liegt, kann er seinen Onkel und Carl beobachten, die sich an die Reling lehnen und ihren Kaffee trinken. Sie reden übers Jagen, über eine Reise, die Carl im vergangenen Herbst unternommen hat, durch die großen Wälder tief in Maine, wo er auf Rotwild ging, am Ufer des Allagash.
»Achtzig Meilen landeinwärts schlagen sie das Holz, mitten im Urwald«, sagt der Eisenmann gerade. »Wenn man in diese Wälder geht, kann man tagelang laufen, wochenlang, ohne dass man wieder rauskommt. In den Bergen da oben arbeiten die Magnete nicht richtig, man weiß nie sicher, ob der Kompass korrekt anzeigt.« Er hat eine tiefe Stimme, Carl Dyer, kräftige Hände. Wenn man die sieht, weiß man, was sie mit der Harpune anstellen können. Jetzt umfassen sie seinen dampfenden Kaffeebecher. »Ist nicht so wie hier«, sagt er. »Klar gibt’s da genug Wild zu treiben, aber hier bei uns weiß man immer, dass man irgendwo rauskommt, an einem Fluss, einer Mauer oder einer Straße, und dann weiß man, wo man ist.«
Swig brummt etwas, eine Zustimmung, dann herrscht eine Weile Schweigen, beide Männer stützen sich auf die Reling, schauen aufs Wasser.
»Und, was meinst du?«, sagt Swig schließlich.
»Das wird spiegelglatt«, erwidert Carl. »Ich würde sagen, wir gehen auf Schwertfisch.«
Swig dreht sich um, sein Blick fällt auf Huck, zusammengerollt in der Ecke des Ruderhauses, kurz blitzt Überraschung in seinen Augen auf. Dann hebt er die Brauen. »Was hast du jetzt schon wieder angestellt, Hafenratte?«
»Gar nichts. Ich schwöre!«
Sein Onkel lächelt ihn an.
»Darf ich mit euch rauskommen, Swiggie?«
»Hab noch nicht gesagt, dass wir fahren.« Swig sieht Carl an. »Willst du unbedingt?«
»Ist ein guter Tag.«
Swig nickt, schaut noch mal auf seinen Neffen. »Na gut. Fünf Mäuse, Hafenratte. Für jeden Fisch, den du findest, falls wir ihn anlanden.«
Ein perfekter Tag. Gelegentlich im Pulk boxende Wolken wie große weiße Fäuste. Das Meer ist gläsern, eine gemächliche Dünung. Sie fahren gen Süden, südwestlich an Noman’s Island vorbei, zwanzig Meilen vor den Dumping Grounds, und Huck ist oben im Mast mit dem Eisenmann; andere Schiffe sind bereits da, motoren herum. Eins von ihnen, ungefähr eine Meile östlich, dreht plötzlich scharf bei, Qualm stößt hervor, das Beiboot wird gewassert, schießt davon.
Huck sucht das Meer ab, die gespiegelte Oberfläche, lauert auf eine schmale, dunklere Silhouette, die sich ein wenig bewegt, einen Fisch, der zur Sonne hochgestiegen ist. Aus dieser Höhe ist die Welt gewaltig – die ganze Welt, alles in göttlicher Klarheit, Meer und Himmel ein unterschiedsloses Blau, das sich in alle Richtungen erstreckt. Weiter im Norden kann Huck die buckligen Umrisse der Inseln erkennen, dahinter liegt das Festland, ein flaches, dunkles Huschen.
Hier kann es ihm nichts anhaben. Das Festland. Keine Scheißhausmaus, die daherstolziert kommt. Keine schlimmen alten Geschichten, keine mitternächtlichen Drohungen, nicht der schimpfende Finger seines Vaters. All das kann hier draußen gar nichts ausrichten.
»Der Lorenz knallt«, murmelt er. Der Eisenmann antwortet nicht. Huck wirft ihm einen verstohlenen Blick zu, streift das sonnengebräunte, kantige Kinn,
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