Das Lied der Cheyenne
keinen Proviant mitgenommen. Das wäre nicht mal einem unerfahrenen Krieger passiert. Sie hatte auch kein Wasser dabei und nicht mal einen Behälter, den sie an einer Quelle oder im Fluss nachfüllen konnte. Das war nachlässig gewesen. Ohne Waffen und Proviant verließ man niemals ein Lager, es sei denn, man ging zu einem heiligen Ort, um zu fasten. Das war die erste Lektion, die jeder Krieger der Hügelleute lernte.
Büffelfrau ließ ihr Pony in einen leichten Schritt fallen und überlegte. Sie befand sich in einem Hohlweg, und die Spuren der Krieger waren deutlich zu erkennen. Wenn sie die Männer bis zum Abend einholte und sich zu erkennen gab, würde sie etwas zu essen und zu trinken bekommen, aber man würde auch über den Leichtsinn eines kleinen Mädchens lachen, das ohne ihren Bogen und eine gefüllte Provianttasche aus dem Dorf geritten war. »Seht her, die kleine Büffelfrau«, würden sie sagen, »sie will eine große Kriegerin werden und weiß nicht einmal, dass man eine Waffe braucht, wenn man auf den Kriegspfad geht.«
So weit wollte sie es nicht kommen lassen. Wenn sie schon ohne Waffen im Lager der Krieger auftauchte, wollte sie ihnen wenigstens zeigen, dass sie alt genug war, um für sich selber zu sorgen. Sie ritt aus dem Hohlweg und blickte sich aufmerksam um. Die Prärie erstreckte sich bis zu den fernen Bergen, die in den letzten Stunden kaum näher gerückt waren. Es waren nur wenige Bäume zu sehen, aber es gab unzählige Verstecke, weil das Land sehr hügelig war. Hinter jeder Erhebung konnte ein Feind oder ein wildes Tier warten. Man konnte nicht vorsichtig genug sein, wenn man sich so weit vom Dorf entfernt hatte.
Büffelfrau stieg vom Pferd und lauschte angestrengt. Es war nichts zu hören. Sie legte sich auf den Boden und legte ein Ohr auf die Erde, wie sie es bei den Kriegern gesehen hatte, aber auch jetzt blieb alles stumm. Sie sprang wieder auf ihr Pony und ritt weiter. Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war warm geworden. Ein ständiger Wind rauschte in den Cottonwoods eines nahen Wäldchens und strich über das Büffelgras. Eine Eidechse verschwand vor den Hufen des Ponys in ihrem Bau, und Büffelfrau dachte an die Erzählungen ihres Großvaters, der vor fünf Wintern gestorben war. Er hatte von einer langen und anstrengenden Wanderung berichtet, die das Volk vom großen Fluss auf die trockene Prärie geführt hatte. »Bevor wir den Büffel jagten und wenn die Zeiten schlecht und das Land trocken waren, haben wir uns oft von Eidechsen ernährt.«
Sie verspürte eher Appetit auf saftiges Kaninchenfleisch, und ihr lief das Wasser im Mund zusammen, wenn sie nur daran dachte. Auf der anderen Seite des Pappelwäldchens fand sie einen Kaninchenbau. Sie suchte nach Kräutern, die Weidenfrau ihr vor einiger Zeit erklärt hatte, zerkaute die Blätter, bis sie einen intensiven Geruch ausstrahlten, und verteilte sie neben einem Ausgang des Kaninchenbaus. Aus einer Rohhautschnur, die sie von dem mit Gras gefüllten Sattel ihres Ponys löste, formte sie eine Schlinge. Sie platzierte sie um die Kräuter herum, behielt das lose Ende in der Hand und legte sich gegen den Wind flach auf den Boden. Dann wartete sie.
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es dauerte fast eine Stunde, bis ein Kaninchen nach draußen gelockt wurde. Es war ein junges Tier. Seine Ohren bewegten sich wachsam, aber die Neugier war zu stark, und es kroch aus seinem Bau. Kaum war es mit den beiden Vorderfüßen in die Schlinge getreten, zog Büffelfrau zu. Die Rohhautschlinge legte sich fest um die Vorderbeine des Kaninchens. Sie griff nach einem Stein und zertrümmerte die Schädeldecke des Tieres.
»Aiee!«, rief Büffelfrau. Sie entschuldigte sich bei dem toten Kaninchen, weil sie gezwungen gewesen war, ein Leben zu nehmen, und zog ihr Messer aus dem Gürtel. Sie häutete das Tier ab und briet es über einem kleinen Feuer, das sie mit ihren Feuerstöcken entzündet hatte. Das hatte Büffelhöcker ihr beigebracht. »Wir brauchen das Feuer zum Leben«, hatte er gesagt, »und du musst wissen, wie man es in Gang bringt.« Er hatte ihr auch erzählt, dass es den Frauen vorbehalten war, das Feuer in einem Tipi zu entfachen. »Die Frau schenkt das Leben, und sie entzündet das Feuer, das Leben erhält.«
Gierig machte Büffelfrau sich über das Fleisch her. Sie aß die Hälfte ihrer Beute und band den Rest mit der Rohhautschlinge an ihren Sattel. Selten hatte ihr etwas so gut geschmeckt. Sie wischte sich den
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