Das Lied der Cheyenne
Haaren. Nachdem sie sich wieder angezogen hatte, rannte sie einmal um das Dorf herum und blieb keuchend stehen, als Weißes Pferd und Läuft-rückwärts an ihr vorbeiritten und das Dorf verließen.
Beide gehörten zu den tapfersten Kriegern des Stammes und waren als erbarmungslose Kämpfer bekannt. Sie hatten ihre Gesichter mit roter Farbe bemalt. Weißes Pferd, dem man nachsagte, dass sein Herz für andere Männer schlug, trug eine kostbare Federhaube und ein mit zahlreichen Amuletten verziertes Kriegshemd. Läuft-rückwärts hatte eine Kappe aus Eulenfedern aufgesetzt und hielt seine rote Donnerlanze in der linken Hand. »Endlich dürfen wir zu Hause bleiben«, sagte er, aber weil er ein Gegenteil-Mann war, bedeutete es genau das Gegenteil. Läuft-rückwärts war begierig, in den Krieg zu ziehen.
Das Mädchen blickte ihnen bewundernd nach und verspürte den Wunsch, selbst mit ihnen zu reiten. Sie war fasziniert von der kostbaren Kleidung der Krieger und ihrem großen Mut. Ihr Leben war viel aufregender als das der Frauen, die den ganzen Tag nur Wurzeln oder Holz sammelten, das Essen kochten und sich um die kleinen Kinder kümmerten. Sie wollte auf die Jagd gehen und mit den Männern auf den Kriegspfad ziehen. Sie wollte Pferde stehlen und den Wind spüren, wenn sie auf ihrem Pony über die Prärie ritt und den Kriegsruf des Volkes ausstieß.
Büffelfrau kehrte zum Tipi ihrer Eltern zurück und grüßte ihr Pony, das vor dem Zelt angebunden war. Sie hatte es vor zwei Wintern von ihrem Vater geschenkt bekommen. Sie kletterte fast jeden Tag auf seinen Rücken und gehörte schon jetzt zu den besten Reiterinnen der Hügelleute. Aber sie hatte den Ehrgeiz, einmal so gut reiten zu können wie Weißer Biber, Roter Mond oder Gefleckter Wolf. Die Jungen ritten oft um die Wette, und es machte großen Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Sie verwuchsen mit ihren Pferden und rasten wie der Blitz über die Prärie.
Das Pony schnaubte freudig, als es den vertrauten Geruch in den Nüstern spürte, und scharrte mit den Hufen. Es hatte die Unruhe am frühen Morgen gespürt, als die Krieger das Dorf verlassen hatten, und wollte sich bewegen.
Büffelfrau verstand das Tier und griff nach den Rohhautzügeln. Sie schwang sich auf seinen Rücken und ritt aus dem Dorf. »Houp, houp!«, feuerte sie das geschenkte Pony an. Sie lenkte es zum Fluss und ließ es saufen, dann stieß sie ihm die Mokassins in die Seite und trieb es die Uferböschung hinauf.
Vor dem Dorf begegnete sie Otterfrau, die ihre langen Zöpfe entflochten hatte und zum Fluss wollte. Die Freundin hob grüßend eine Hand und rief: »Wo willst du hin, Büffelfrau?«
»Ich reite in den Krieg!«
»Mit den Hundesoldaten?«
»Warum nicht?«
»Weil du ein Mädchen bist.«
»Na, und?«
»Weil du zu klein bist.«
»Unsinn«, erwiderte Büffelfrau ernst. Sie hatte selber an einen Scherz gedacht, es sich aber anders überlegt. Sie konnte fast so gut reiten wie die Jungen und war mutig genug, auf die Pferde aufzupassen, wenn die Männer in das Dorf der Feinde schlichen. Warum sollte sie den Kriegern nicht folgen? Wenn die Geister wirklich auf ihrer Seite waren, würden sie auch auf dem Kriegspfad zu ihr halten.
»Du wirst es sehen, Otterfrau«, sagte sie selbstsicher, »ich werde ihnen in den Krieg folgen und meinen großen Mut beweisen. Du wirst staunen.«
Otterfrau lachte nur, aber als Büffelfrau ihr Pony antrieb und auf die offene Prärie sprengte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Hatte ihre Freundin die Wahrheit gesagt? Wollte sie tatsächlich mit den Männern auf den Kriegspfad reiten? Nicht einmal ein Junge würde das mit sieben Wintern wagen. Gelber Wolf hatte dreizehn Winter gewartet, bis er den Häuptling gebeten hatte, mit den Hundesoldaten reiten zu dürfen.
Büffelfrau dachte nicht über ihr Handeln nach. Sie genoss das Gefühl, allein über die Prärie zu reiten und den Wind in ihren Haaren zu spüren. Die Sonne stand bereits am Himmel und schüttete ihr goldenes Licht auf die Hügel im Osten. Vor ein paar Tagen hatten sie das alte Gras abgebrannt, und grüne Schösslinge zeigten sich auf der Ebene. Der weiße Mann des Winters war nach Norden zurückgegangen. Der Tau glänzte im Sonnenlicht, und es roch nach frischer Erde. Es war ein guter Tag, um ihrem Vater in ein unbekanntes Land zu folgen.
Auf welch gefährliches Vorhaben sie sich eingelassen hatte, merkte sie erst nach ein paar Stunden, als sie Hunger bekam. Sie hatte ihren Bogen zu Hause gelassen und
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