Das Lied der Cheyenne
hatte und den Spuren der Krieger gefolgt war. »Ich war ganz allein auf der Prärie«, sagte sie, »um mich herum gab es nur endloses Gras und ein paar Bäume. Das hättet ihr sehen sollen. Es war ganz anders als zur Zeit des staubigen Mondes, als wir mit dem ganzen Stamm über die Ebene zogen. Ich habe die Vögel und die Eidechsen gesehen, und ich habe den Himmel auf meiner Haut gefühlt. Ich glaube, die Geister hatten sich mit mir verbündet. Es war ein tolles Gefühl.«
»Das war sehr mutig!«, sagte Otterfrau. Sie bewunderte ihre Freundin, obwohl sie der Meinung war, dass eine Frau nichts auf dem Kriegspfad verloren hatte. Sie wollte wie ihre Mutter sein. Scheues Reh war nie allein über die großen Ebenen geritten und hatte nie eine Waffe in der Hand gehalten, aber sie hatte es immer verstanden, sich gegen die Männer durchzusetzen. Sie benutzte ihre Schönheit. Wenn sie lächelte, wurde der stärkste Krieger weich, und vor allem ihr Vater hatte immer alles getan, was ihre Mutter verlangte. Dabei war er ein besonders starker Krieger, der sich sonst von niemandem etwas sagen ließ. »Und was hättest du getan, wenn die Shar-ha gekommen wären?«
Büffelfrau winkte ab. »Die Shar-ha sind weit im Norden, die haben viel zu viel Angst vor uns. Unsere Krieger haben nicht mal ihre Spuren verwischt. Ich war ganz allein.« Sie sprang auf einen Felsbrocken und hob beide Arme wie ein stolzer Krieger, der von seinen Abenteuern auf dem Kriegspfad berichtet. »Soll ich euch wieder erzählen, wie ich das Kaninchen erlegt habe?«
»Ja«, rief Otterfrau, »berichte!«
»Es war um die Mittagszeit«, fuhr Büffelfrau fort, »die Sonne stand hoch, und ich war schon weit geritten. Ich hatte keinen Bogen mitgenommen. Mein Vater hätte mir einen Kriegsbogen gegeben, wenn ich weitergeritten wäre.« Die kleine Lüge baute sie geschickt ein, um ihren Fehler zu vertuschen. Alle fielen darauf herein. Sie war eine gute Geschichtenerzählerin und verstand es, ihr Publikum mit Gesten und Worten zu verzaubern. »Als ich Hunger bekam, nahm ich eine Rohhautschnur und legte die Schlinge um einen Kaninchenbau.« Sie schilderte, wie sie das Tier gefangen, abgehäutet und ausgenommen und über einem Feuer gebraten hatte.
»Und wenn ein wildes Tier gekommen wäre?«, lästerte Roter Mond. Er war eifersüchtig, weil er den Kriegern nicht selber gefolgt war und ein Mädchen den ganzen Ruhm für sich hatte. Am Morgen war er noch als großer Held gefeiert worden. Bei einem Ringkampf im kleinen Lager hatte er Weißer Biber, Kleiner Falke und einen anderen Jungen nacheinander besiegt. »Hättest du einen Berglöwen auch mit der Schlinge gefangen?«
»Einen Berglöwen hätte sie mit dem kleinen Finger in die Knie gezwungen«, erwiderte Otterfrau, »so wie den Büffel vor einigen Wintern. Erinnerst du dich, Roter Mond?«
»Ich erinnere mich.«
»Dann hast du auch gehört, was der alte Sieht-hinter-die-Berge gesagt hat. Büffelfrau hat die Geister auf ihrer Seite. Sie wird bei dem Schamanen in die Lehre gehen und dir sagen, was du tun musst. Vielleicht wird sie auch eine große Kriegerin.«
Roter Mond verzog geringschätzig den Mund. »Pah! Immer können die Geister ihr auch nicht helfen.« Er blickte Büffelfrau herausfordernd an. »Warum bist du nicht weitergeritten, wenn die Geister dir helfen? Warum bist du zurückgekommen?«
»Weil ich zu jung bin«, antwortete sie ehrlich.
»Weil du ein Mädchen bist«, rief Roter Mond, »sie haben dich nach Hause geschickt, weil du ein Mädchen bist. Ich werde im Monat der reifen Kirschen meinen ersten Büffel erlegen, und dann werde ich auf meinen ersten Kriegspfad gehen. Du wirst zu Hause bei den anderen Frauen bleiben. Du wirst mir zujubeln, wenn ich meinen ersten Coup geschlagen habe.«
»Noch ist es nicht so weit«, erwiderte Büffelfrau. Sie sprang von dem Felsbrocken und deutete auf die beiden Ponys, die vor einem der Kinderzelte angebunden waren. Ein herausforderndes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Warum reiten wir nicht um die Wette, Roter Mond? Ich hab’ gehört, du bist ein guter Reiter. Oder hast du Angst, gegen ein Mädchen zu verlieren?« Sie wusste nicht, warum sie den zwei Winter älteren Jungen herausforderte. Er gehörte zu den besten Reitern der Hügelleute und wurde sogar von den Kriegern bewundert.
»Du willst mit mir um die Wette reiten?« Roter Mond lachte. »Selbst wenn ich dir einen Vorsprung gebe, wirst du verlieren.«
»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Büffelfrau.
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