Das Lied der Cheyenne
gelernt«, lobte Sieht-hinter-die-Berge seine Schülerin, »nun höre, was ich dir zu erzählen habe. Süße Medizin war ein junger Krieger, und jeder mochte ihn. Er hatte viele Pferde erbeutet und einen Coup geschlagen. Die Mädchen warfen ihm bewundernde Blicke zu. Im Mond der reifen Kirschen beschloss er, einen Kriegstrupp gegen die Feinde zu führen. Er trat vor den großen Kriegsrat und sagte, was er vorhatte, aber der Häuptling war böse, weil der junge Krieger es gewagt hatte, das Schweigen der weisen Männer zu stören, und verbot es ihm. Zornig verließ Süße Medizin das Dorf. Vier Winter lang wurde er nicht gesehen. Er wanderte allein über die Prärie, und niemand kann sagen, was damals wirklich geschah.«
»War er mit den Geistern im Bunde?«
»Vielleicht«, antwortete der Schamane, »sicher ist, dass nach seinem Verschwinden die Büffel wegblieben. Die Büffel und alle anderen Tiere. Eine große Hungersnot plagte unser Volk, und es gab nichts, was man dagegen tun konnte. Aiee, ich sage dir, das müssen schlimme Zeiten gewesen sein.« Er seufzte und gönnte sich einen Augenblick der Ruhe. Dann fuhr er fort: »Nach vier Wintern kam Süße Medizin zurück. Der Häuptling zürnte ihm nicht mehr, denn er spürte, dass der junge Krieger über magische Kräfte verfügte. ›Ich hole die Büffel zurück‹, sagte Süße Medizin. Er sang vier Tage und vier Nächte lang und betete zu Maheo, dem Erschaffer des Lebens. Die Tiere kehrten zurück, und die Menschen waren sehr dankbar.«
»Brachte er das Bündel mit den heiligen Pfeilen?«, fragte das Mädchen. Sie bezwang mühsam ihre Ungeduld.
»Noch nicht«, antwortete Sieht-hinter-die-Berge. »Das geschah einige Winter später, als er mit seiner Frau in die heiligen Berge zog und dort sein Tipi aufschlug. In einer Höhle, die noch kein anderer Krieger unseres Volkes gesehen hat, begegnete er den vier heiligen Mächten, die wir Lauscher-unter-der-Erde nennen. Sie dienen Maheo, dem Herrn des Lebens, und sie gaben Süße Medizin vier Pfeile. Zwei waren schwarz, und zwei waren rot. Zwei waren Büffelpfeile, sie würden unserem Volk eine gute Jagd garantieren. Zwei waren Menschenpfeile, sie würden helfen, unsere Feinde zu besiegen. ›Diese Pfeile sind heilig‹, sagten die Mächte, ›sie werden dein Volk im Krieg und im Frieden beschützen. Nimm sie und halte sie fest. Immer!‹
Süße Medizin nahm die heiligen Pfeile und wickelte sie in ein Kojotenfell. Dann kehrte er zum Volk zurück. Er sagte: ›Nehmt diese Pfeile und tragt sie, wenn ihr in den Krieg zieht. Sie werden euch zu essen geben und euch vor den Feinden schützen. Bewahrt sie gut und gebt sie niemals aus den Händen. Ohne die Pfeile werdet ihr untergehen.‹«
Sieht-hinter-die-Berge ließ seine Worte wirken und starrte wieder ins Feuer. Er merkte gar nicht, dass es aufgehört hatte zu regnen und Sonnenstrahlen in das Tipi fielen. »Das ist es, was ich dir heute sagen wollte«, beendete er seine Geschichte.
Büffelfrau blieb stumm sitzen und ehrte den alten Mann durch ihr Schweigen. »Ich werde die Pfeile immer ehren«, sagte sie wieder. Während Sieht-hinter-die-Berge die Geschichte erzählt hatte, war ihr bewusst geworden, dass diese Pfeile eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen würden. Die Regentropfen hatten es ihr erzählt. Aber sie glaubte an eine Einbildung und verriet nicht, welche Gedanken ihr durch den Kopf gegangen waren.
»Ha-ho«, sagte sie, »danke, Onkel.«
Sie stand auf, verließ das Tipi und blieb stehen, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Die Sonne war hinter den Wolken hervorgekommen und leuchtete golden. Der Regenbogen, der über den heiligen Bergen leuchtete, hatte den Donnervogel in eine Falle gelockt und zum Schweigen gebracht.
»Es ist gut«, sagte Büffelfrau leise. Sie reckte sich und wollte gerade weitergehen, als der helle Kriegsruf der Hügelleute durch das Lager schallte. Trommelnder Hufschlag ließ den Prärieboden erzittern, und schwarz bemalte Krieger preschten von den Hügeln herab. »Houp, houp!«, feuerten sie ihre Pferde an. Sie schwangen ihre Decken und trieben die gestohlenen Ponys an den erfreuten Dorfbewohnern vorbei.
»Büffelhöcker ist zurück!«, rief jemand laut. »Die Hundesoldaten sind wieder da! Sie haben viele Pferde erbeutet!«
»Seht doch, an ihren Lanzen hängen Skalpe!«
»Hokahey, wir haben gesiegt!«
Büffelfrau beobachtete erregt, wie ihr Vater und Weißes Pferd und Gelber Wolf und Läuft-rückwärts durch das
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