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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Schamane, »aber du bist jung, und ich will es dir nicht nachtragen.« Er schmunzelte. »Im großen Kriegsrat hat deine Stimme kein Gewicht, wenn du nicht schweigen kannst. Geduld zeichnet einen großen Krieger aus.«
    Büffelfrau nahm den Tadel an. »Ich will mich immer daran erinnern, Onkel. Ich werde schweigen wie ein Häuptling.«
    Der alte Schamane stellte sie auf die Probe und schwieg minutenlang. Er starrte in das flackernde Feuer und hing seinen Gedanken nach, die im Alter immer verwirrender wurden. Wie lange würde es dauern, bis das Mädchen bereit war? In zwei Wintern, in drei oder vier? Wenn sie ihren Schutzgeist fand und beim Sonnentanz mit den Kriegern litt? Wann würde Maheo das erlösende Zeichen geben? Er spürte sein Alter, und es würde ihm gefallen, der hängenden Straße am Himmel auf die andere Seite zu folgen.
    Büffelfrau schwieg, obwohl es ihr schwerfiel. Es war sehr anstrengend, neben dem Schamanen zu sitzen und in das Feuer zu starren. Das Trommeln des Regens störte die andächtige Stille. Das düstere Zwielicht wirkte unheimlich und erinnerte sie daran, dass es auch böse Geister gab. Sie lauerten im Wasser und an versteckten Quellen, auf Felsvorsprüngen und auf Hügeln. Sie bedrohten das Volk und blieben nur in ihrem Versteck, wenn man jeden Tag betete und ihnen Geschenke machte. Lauerten sie vor dem Tipi auf sie? Schickten sie den stürmischen Wind, der über die Prärie blies und an den Tipis zerrte? Versteckten sie sich bei den Hunden, die sich winselnd in das hohe Büffelgras zurückgezogen hatten?
    Sieht-hinter-die-Berge stand auf und nahm das Bündel mit den heiligen Pfeilen aus dem Versteck. Er reckte beide Hände mit den Pfeilen nach oben und sprach ein kurzes Gebet, bevor er das Kojotenfell zur Seite schob und Büffelfrau die heiligen Pfeile zeigte. Zwei schwarze und zwei rote Pfeile mit scharfen Steinspitzen und geschliffenen Schäften lagen darauf, zwei für die Büffeljagd und zwei für den Krieg. Solange die Pfeile im Tipi des Pfeilbewahrers lagen oder an der Lanze eines tapferen Kriegers hingen, konnte den Cheyenne nichts passieren.
    Büffelfrau betrachtete die Pfeile andächtig, wagte aber nicht, sie zu berühren. Sie waren heilig, und nur der Pfeilbewahrer durfte sie anfassen. »Eni-to-eme«, sagte sie ehrfurchtsvoll.
    Der Schamane wickelte die Pfeile wieder ein und legte sie in ihr Versteck zurück. Er trat ans Feuer. Sein Rücken schmerzte, und er war froh, als er sich setzen und gegen die Rückenstütze aus Weidenästen lehnen konnte. Er zog das Büffelfell fest um die Schultern und blickte bewundernd auf das Mädchen, das nur ein Kleid gegen den strömenden Regen trug. Vor vielen Wintern, als sie noch am Großen Fluss in festen Hütten wohnten, hatte er auch kein Büffelfell gebraucht. Aiee, das war lange her.
    »Ich will die Pfeile immer ehren«, sagte Büffelfrau.
    Der Schamane nickte. »Sie sind das heilige Gut unseres Volkes. Sie schützen es vor dem Hungertod, und sie machen es stark, wenn die Männer auf den Kriegspfad gehen. Wenn wir sie verlieren, geht Maheo mit ihnen, und großes Unglück wird über unser Volk kommen. So haben wir es erfahren.«
    Sieht-hinter-die-Berge hatte die Geschichte der vier heiligen Pfeile schon oft erzählt, und alle Männer und Frauen des Volkes kannten sie. Büffelfrau wusste nur, dass die Pfeile heilig waren und von jedem geachtet werden mussten. Die Geschichte des geheimnisvollen Kriegers, der Süße Medizin genannt wurde, hörte sie zum ersten Mal. Ihr Vater hatte sie nie erzählt und überließ es dem Schamanen, seine Tochter in die Geheimnisse des Glaubens einzuweihen. Sie war dazu bestimmt, dem Volk als Seherin zu dienen, und es gehörte sich nicht, dass er dem heiligen Mann vorgriff.
    »Süße Medizin war ein junger Krieger unseres Volkes«, sagte der Schamane. »Das ist viele Winter her. Wir waren damals gerade aus der Erde gekrochen und lebten noch nicht lange auf der Erde, aber wir wussten schon, dass wir einmal die Büffel jagen und mit den Shar-ha und den Ho-he im Krieg leben würden. Ich war damals noch nicht bei den Hügelleuten, aber die heiligen Männer haben die Geschichte weitergegeben, und ich berichte sie so, wie sie mir von Läuft-in-der-Ferne berichtet wurde. Du hast von dem alten Mann gehört, nicht wahr?«
    »Ja, Onkel«, erwiderte Büffelfrau, »mein Vater hat mir von ihm erzählt. Er war der Seher unseres Volkes, als meine Eltern geboren wurden und wir gegen die Ho-he in den Krieg zogen.«
    »Du hast viel

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