Das Lied der Cheyenne
ihrem Leben, und sie spürte, dass sie von den Geistern ausgewählt war, etwas Besonderes für ihr Volk zu tun.
»Du bist gekommen«, sagte der Schamane rauchend. Er war sehr gealtert während der letzten Monde, und sein Haar schien noch weißer geworden zu sein. Seine Falten hatten sich tief in die Haut gegraben, und die Augen brannten wie Kohlestücke in seinem knochigen Gesicht. Er spürte den Regen in allen Gliedern und fror selbst unter seinem dicken Büffelfell, aber sein Verstand arbeitete klar, und er wusste genau, was er sagte. »Ich bin alt geworden, mein Kind«, fuhr er mit seiner heiseren Stimme fort, »und ich werde bald sterben. Ich werde der hängenden Straße am Himmel folgen und in einem großen Dorf in der alten Welt wohnen. Maheo hat es mir gesagt. Aber er hat mir auch gesagt, dass ich so lange in dieser Welt bleiben werde, bis du in das heilige Tipi ziehen wirst. Willst du tun, was die Geister verlangen?«
»Ja, Onkel.«
Die respektvolle Anrede gefiel dem Schamanen, und er nickte zufrieden. Durch den offenen Eingang fiel düsteres Zwielicht herein, und ein Windstoß bewegte seine langen Haare. »Das ist gut, mein Kind. Ich will dich alles lehren, was in meiner Macht steht, und ich will dich auf deine große Aufgabe vorbereiten.« Er klopfte die Pfeife aus und häufte die Asche neben dem Feuer auf. »Du erinnerst dich an den Tag, als wir die Büffel jagten und du einen großen Bullen in die Knie gehen ließt?«
»Ich erinnere mich, Onkel. Ich habe oft davon geträumt und weiß immer noch nicht, wie es geschehen konnte. Mein Vater sagt, ich habe magische Kraft, aber es kann auch der Pfeil eines Kriegers gewesen sein. Vielleicht war der Büffel verletzt?«
Der Schamane schüttelte den Kopf. »Nein, Büffelfrau. Dein Vater hat recht. Du besitzt magische Kräfte, und die Geister haben durch dich gesprochen. Maheo will, dass du am Leben bleibst und unser Volk auf seinem langen Weg in eine neue Zukunft geleitest. So habe ich es in meinen Träumen gehört.«
»Das sind große Worte, Onkel.«
»Und du musst große Taten folgen lassen«, fuhr Sieht-hinter-die-Berge fort. »Achte den großen Geist, der im Himmel wohnt, und achte den Geist der Erde. Achte die vier Himmelsrichtungen und respektiere das Wort der Häuptlinge. Höre auf den Süße-Medizin-Häuptling, wenn sich die Hügelleute mit den anderen Menschenwesen zum Sonnenschutz treffen und wir im großen Dorf unseres Volkes die Kraft des Lebens ehren. Achte deinen Vater, der unsere Hundesoldaten gegen die Shar-ha geführt hat und mit der Sonne in unser Dorf zurückkommen wird.«
»Die Krieger kehren zurück?«, fragte Büffelfrau erstaunt. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Wölfe ins Dorf geritten waren und die Ankunft der Krieger gemeldet hatten.
»Die Geister haben es mir im Traum verraten«, klärte Sieht-hinter-die-Berge das Mädchen lächelnd auf. »Der Kriegszug war erfolgreich, und sie haben viele Pferde erbeutet.«
»Das ist gut«, freute Büffelfrau sich. Sie erinnerte sich an einen Traum, den sie selbst vor einigen Tagen gehabt hatte, und fragte sich, ob dieser Traum auch mit der Rückkehr ihres Vater und der anderen Krieger zu tun hatte. Sie hatte ein Wolfsrudel gesehen. Das Fell der zottigen Tiere war mit roten Streifen und Adlerfedern verziert, und über ihnen kreiste ein einsamer Falke. Sie waren über die staubige Prärie und durch knöcheltiefen Morast gelaufen, und sie hatten sich durch den tiefen Schnee des weißen Mannes im Norden gekämpft. Einer der Wölfe hatte leicht geblutet, aber die Verletzung war nicht schlimm gewesen, und er lief mit seinen Artgenossen der Sonne entgegen.
Büffelfrau erzählte ihren Traum. »Kann es sein, Onkel, dass ich denselben Traum hatte? Haben die Geister zu mir gesprochen?«
»Ja, mein Kind«, sagte der Schamane. Er hatte seine Hände unter das Büffelfell geschoben und beugte sich dem Feuer entgegen. Die Flammen warfen einen geheimnisvollen Schein auf sein Gesicht und lange Schatten auf die Zeltwand. »Es ist ein gutes Zeichen, Büffelfrau. Solange wir die Träume haben, sind die Geister bei uns. Das ist gut, das ist sehr gut.«
»Du wolltest mir von den heiligen Pfeilen erzählen«, sagte das Mädchen, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten. Sieht-hinter-die-Berge hatte es erwähnt, als er seine Nachfolgerin in sein Tipi geführt hatte. »Du wolltest mir erklären, wie die Pfeile zu unserem Volk gekommen sind und was sie bedeuten.«
»Du bist ungeduldig«, erwiderte der
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