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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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hieß seit vielen Wintern so, weil er sich für keinen geraden Kurs entscheiden konnte und in zahlreichen Windungen durch das felsige Land floss. Zwischen den braunen Felsen, die überall aus der Prärie wuchsen, gab es fruchtbare Täler mit dunkler Erde und saftigem Gras, das den meisten Ponys bis zum Bauch reichte. Die Tipis wurden in einem dieser Täler aufgestellt. Östlich und südlich vom Dorf verlief der Fluss in zahlreichen Windungen, im Westen bedeckte dichter Laubwald die Anhöhen. Im Norden erstreckten sich die Hügel, Täler und Ebenen bis zu den Bergen.
    Die Flussleute, die auch das Hauptlager des Stammes gebildet hatten, waren als Erste da und schlugen ihre Tipis im Süden auf. Kleiner Wolf, der oberste Ratshäuptling, stand am Flussufer und beobachtete zufrieden, wie die weißen Zelte in der Sonne glänzten. Er mochte den Anblick eines neuen Lagers. Er genoss das geschäftige Treiben, das ihn an einen Ameisenhaufen erinnerte, er freute sich über die lachenden Kinder und die bellenden Hunde. Vom hügeligen Flussufer schaute er den hart arbeitenden Frauen zu, die ihren Teil dazu beitrugen, den Alltag der tsis tsis tas mit Leben zu erfüllen. »Dies ist ein guter Tag«, sagte er zu Wolfsgesicht, »ich freue mich auf den Sonnentanz.«
    Der Süße-Medizin-Häuptling, dessen Gesicht tatsächlich an einen Wolf erinnerte, stimmte ihm zu. »Mein Häuptling hat recht«, sagte er mit seiner dunklen Stimme. »Es wird ein guter Sonnentanz. Ich habe lange gebetet und zu den Geistern gesprochen. Sie sind uns wohlgesinnt.«
    »Wer wird die Feierlichkeiten leiten?«, fragte Kleiner Wolf.
    Wolfsgesicht hatte seinen Entschluss längst gefasst. »Ich dachte an Büffelhöcker, den Häuptling der Hundesoldaten. Er ist der tapferste Krieger der Hügelleute und hat viele Pferde von den Shar-ha gestohlen. Er ist dieses Amtes würdig.«
    »Eine gute Wahl«, erwiderte der Häuptling. »Die Hügelleute werden hier sein, wenn die Sonne zum zweiten Mal aufgeht. Die Wölfe haben sie jenseits des großen Flusses gesehen.«
    »Das ist gut«, sagte Wolfsgesicht. Er war größer als Kleiner Wolf, und sein sehniger Körper war von zahlreichen Narben bedeckt. Seine Vision hatte ihm befohlen, in einen Kampf gegen die Ho-he zu ziehen, und er hatte gegen die tapfersten Männer des Feindes gekämpft. Das war vor vielen Wintern gewesen. Noch heute sprach man bei den Ho-he von dem tollkühnen Schamanen, der sich mit einer langen Lederschnur an den Boden gefesselt und so lange gekämpft hatte, bis ihn einer seiner Krieger losgeschnitten hatte. Aiee, seine Medizin war stark. Er war ein tapferer Kämpfer und ein großer Medizinmann.
    »Ich grüße Wolfsgesicht, den heiligen Mann unseres Volkes, und ich grüße Kleiner Wolf, unseren tapferen Häuptling, der die Geschicke der tsis tsis tas mit großer Weisheit lenkt«, sagte Bärenmann, als er mit seinen Waldleuten im Dorf ankam. Sie siedelten im westlichen Teil des Dorfes. Bärenmann war ein drahtiger Mann mit besonders langen Haaren, die er zu zwei Zöpfen gebunden hatte. Wie die meisten Waldleute war er ein ausdauernder Jäger. »Es war ein gutes Jahr«, sagte er, als er am selben Abend mit den anderen Häuptlingen am Feuer saß und die Pfeife kreisen ließ.
    Adlerkopf und seine Felsenleute kamen am selben Abend und brachten weniger gute Nachrichten. »Wir haben fünf Krieger im Kampf gegen die Ho-he verloren«, berichtete er, »sie haben uns im Morgengrauen überrascht, als alle noch schliefen.«
    »Habt ihr euch gerächt?«, fragte Bärenmann.
    Adlerkopf nickte. Er war von gedrungener Statur und trug zwei schillernde Adlerfedern im Haar. Seine Nase war stark gebogen. »Wir haben zwei junge Männer getötet und ihre besten Pferde gestohlen. Aber mein Herz trauert um tapfere Krieger.«
    »Die Ho-he sind erbärmliche Feiglinge«, sagte Bärenmann. Er hatte vor einigen Wintern seinen Sohn auf einem Kriegszug gegen die Ho-he verloren, und sein Hass gegen die Feinde war groß. »Die Waldleute und die Felsenleute sollten gemeinsam gegen die Ho-he reiten, sobald der Sonnentanz vorüber ist.«
    »Ich will darüber nachdenken«, erwiderte Adlerkopf. »Lass uns darüber sprechen, wenn unsere jungen Krieger die Prüfung abgelegt haben.«
    »Ei-e-ya, so soll es sein.«
    Kaum jemand schlief in dieser Nacht. Man hatte einander lange nicht gesehen, und es gab viel zu erzählen. Die Feuer brannten, und die Trommeln dröhnten, und der Klang aufgeregter Stimmen lag über dem Dorf. Die Krieger berichteten von

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