Das Lied der Cheyenne
gewusst.«
»Es ist gut, mein Bruder.«
»Dann hast du auch diese Pferde gestohlen?«, fragte er und deutete auf die Ponys der toten Ho-he, die mit Sturmwind am Waldrand grasten. »Sie gehörten unseren Feinden.«
Büffelfrau zeigte ihm den Bogen mit den beiden Skalpen. »Ich habe die Krieger getötet. Sie haben sich nicht gewehrt. Ich habe sie wie feige Kojoten durch den Wald gejagt.«
»Du bist eine besondere Frau.«
»Ich danke dir, mein Bruder.« Die Lakota wollten, dass sie noch eine Nacht blieb und von ihren Abenteuern erzählte, aber Büffelfrau entschuldigte sich und ritt weiter. Es war gut, von erfahrenen Kriegern bewundert zu werden, aber sie hatte keine Lust, den ganzen Abend über sich zu reden. Die Lakota verehrten sie, weil sie etwas getan hatte, das von Frauen nicht erwartet wurde, dabei gab es Hundesoldaten, die viel tapferer als sie waren. Aiee, sie war nur eine Frau, die ihren Weg ging.
Und sie wollte nach Hause. Zwei Monde waren vergangen, seit sie nach Norden aufgebrochen war, und sie vermisste ihre Eltern und ihre Freunde. Es tat gut, allein über die Prärie zu reiten und über das Leben nachzudenken, und es machte ihr Spaß, neue Berge und neue Täler kennenzulernen. Es war aufregend, das Land der Ho-he zu erkunden und gegen ihre Krieger zu kämpfen, und sogar in den schneebedeckten Bergen hatte es ihr gefallen. Aber sie sehnte sich auch danach, über vertraute Erde zu reiten und bekannte Gesichter zusehen. Sie vermisste Büffelhöcker und seine spannenden Geschichten, sie wollte Weidenfrau und Windfrau in die Arme schließen und mit den Gefährten ihrer Jugend über die Ebene galoppieren.
Roter Mond und Otterfrau … hatten sie schon geheiratet? Wie stand es mit Kleiner Falke und Blitzfrau? Was machten Angst-vor-Pferden, Gefleckter Wolf und Schlangenfrau? Wartete Weißer Biber auf sie? Was sollte sie ihm sagen? Der weiße Büffel hatte ihr nicht verboten, ihn zu heiraten. Er hatte aber auch gesagt, dass Weißer Biber die heiligen Pfeile tragen würde. Das konnte nur bedeuten, dass eine große Schlacht bevorstand und er bei den Kriegern war, die sich als Erste auf den Feind stürzten. Ho, sie durfte nicht lange darüber nachdenken. Ihr Kopf wurde schwer, wenn die Worte des weißen Büffels in ihren Ohren klangen. Du wirst dieselbe Luft atmen wie der weiße Mann. Wann und wo würde sie den Mann mit den blauen Augen wiedertreffen? Welche Rolle spielte er in ihrem Leben?
Es wurde dunkel, und sie schlug in den heiligen Bergen ihr Lager auf. Sie fachte ein kleines Feuer an und briet die Reste des wilden Truthahns, den sie vor zwei Tagen erlegt hatte. Nach dem Essen betete sie zu den Geistern, die in den heiligen Bergen zu Hause waren. Sie spürte ihre geheimnisvollen Kräfte und die unsichtbare Berührung durch den Wind, der aus den vier Himmelsrichtungen blies. »Helft mir, meine Gedanken zu ordnen«, schloss sie das Gebet, »und gebt mir die Kraft, die Aufgabe zu erfüllen, die ihr mir gestellt habt.«
Nachts hatte sie einen unheimlichen Traum. Sie hörte das Kriegsgeheul der Shar-ha, und sie sah die verzerrten Gesichter der feindlichen Krieger, die aus dem Nichts kamen und sich mit blutigen Keulen und Äxten auf die Hügelleute stürzten. Sie erwachte schweißgebadet. Nein, beruhigte sie sich, das konnte nicht sein, die Geister hatten ihr versprochen, dass es keinen Krieg geben würde, solange sie unterwegs war.
Oder hatte sie ein Tabu verletzt? War es falsch gewesen, die Ho-he zu verfolgen? Hätte sie auch den Jungen töten sollen? Das war es. Sie hatte den Jungen am Leben gelassen, weil er von ihrer Tapferkeit erzählen sollte. Die Ho-he sollten wissen, dass sie eine große Kriegerin war. Das war selbstsüchtig gewesen. Als heilige Frau musste sie immer an das Wohl des Volkes denken, und das hatte sie nicht getan.
Sie verstaute ihre Sachen in der Rohhauttasche, sattelte ihr Pony und ritt los. Sturmwind schnaubte unwillig, und auch die beiden Pferde der Ho-he hatten keine Lust, so früh am Morgen aufzubrechen. Sie kümmerte sich nicht darum. Der Traum hatte etwas zu bedeuten, und sie musste so schnell wie möglich das Dorf der Hügelleute finden. Sie schlug mit den Zügelenden auf das Tier ein. Das Lager befand sich noch an derselben Stellen, an der sie es verlassen hatte. Die Büffel waren immer in der Nähe gewesen. Ein heller Streifen zeigte sich am Horizont, und die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich im Großen Fluss, als sie den Hügelkamm erreichte, auf den einst Weißer
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