Das Lied der Cheyenne
Kindern wohlgesinnt.
Der Schamane nahm die Arme herunter und griff nach seinem Wanderstock, den er in den weichen Boden gerammt hatte. Er suchte nach dem Mädchen und sah es im hohen Gras spielen. Es hatte sich von seiner Mutter entfernt, war einige Meter den Hang hinabgelaufen und roch an den bunten Blumen. Es ahnte nicht die Gefahr, in der es schwebte, und auch Weidenfrau und ihre Schwester waren viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft. Nur Sieht-hinter-die-Berge sah den mächtigen Büffelbullen, der sich von der Herde gelöst hatte und schnaubend auf das Mädchen zugerast kam.
»Weidenfrau!«, rief der Schamane.
Die Mutter des Kindes fuhr herum und erkannte entsetzt die Gefahr. Der Bulle war nur noch wenige Meter von ihr entfernt und würde ihre Tochter in den Boden stampfen. Es gab keine Möglichkeit, das arme Kind zu retten. Es war zu weit entfernt, um die Schreie ihrer Mutter zu hören, die vom lauten Stampfen der großen Herde übertönt wurden. Hilflos war es dem wilden Bullen ausgeliefert. Selbst auf das hektische Winken der Frauen reagierte es nicht. Wenn sie es sah, glaubte sie wohl, es galt den jagenden Kriegern in der Senke. Nein, es gab keine Rettung. Sie würde unter den Hufen des Bullen sterben.
Das Mädchen war ahnungslos. Das Dröhnen der Herde erstickte das Stampfen und Schnauben des angreifenden Bullen. Die Tochter des tapferen Hundesoldaten hielt eine rote Blume umklammert und roch gedankenversunken daran. Erst als der Büffel unmittelbar vor ihr war, entdeckte sie ihn und fuhr mit ausgestreckten Armen herum. Sie erschrak nicht. In ihren Augen war ein freundliches Leuchten, als begrüße sie einen guten Bekannten, und ihrem Mund entsprang das freudige Jauchzen, das Sieht-hinter-die-Berge schon am See gehört hatte.
Der Büffelbulle knickte in den Vorderhufen ein und blieb stehen. Nur wenige Meter vor dem Mädchen sank er zu Boden, und ein ehrfürchtiges Schnauben entrang sich seiner Kehle. Er schien gegen eine unsichtbare Wand gelaufen zu sein. Er blieb keuchend liegen und wartete auf Büffelhöcker, der den Hügel hinaufgesprengt kam. Der Krieger stieß den hellen Triumphschrei der Hügelleute aus und jagte einen Pfeil in die Nierengegend des Bullen. Der Büffel hauchte sein Leben aus und schloss langsam die Augen.
Büffelhöcker sprang von seinem Pferd. Er blickte seine Tochter an und wandte sich an den Schamanen. Er verstand nicht, was geschehen war.
»Deine Tochter hat magische Kräfte«, antwortete Sieht-hinter-die-Berge auf die unausgesprochene Frage. Er ging zu dem toten Büffel und zog ihn an den Hörnern herum, bis das Gesicht nach Osten zeigte. Mit seinem Messer schnitt er das Tier auf und riss die Niere aus der blutigen Bauchhöhle. Die Arbeit war anstrengend, aber die Tradition des Volkes verlangte, dass der alte Mann das Ritual ausführte. Sieht-hinter-die-Berge hielt die tropfende Niere in alle vier Himmelsrichtungen, gegen Himmel und Erde und legte sie auf den Büffeldung.
Er wandte sich an das kleine Mädchen und sagte: »Mögest du lange leben und deine magischen Kräfte zum Wohle deines Volkes einsetzen. Mögest du immer Glück haben.«
Der Häuptling der Hundesoldaten nickte dankbar und tauchte seine Hände in das Blut des toten Bullen. Er beschmierte das Gesicht seiner Tochter damit und sagte: »Ich danke den Geistern für ihre Güte und will dir einen Namen geben. Von nun an sollst du Büffelfrau heißen.«
3
Kindheit
Mit sieben Jahren erlegte Büffelfrau ihr erstes Kaninchen. Sie spürte es im hohen Gras am Flussufer auf und tötete es mit dem ersten Pfeil. Stolz brachte sie die Beute nach Hause. Sie legte das Kaninchen vor ihren Eltern auf den Boden und beobachtete zufrieden, wie Büffelhöcker es aufhob und bewundernd ansah.
»Du bist eine gute Jägerin«, sagte er, »du bist besser als die meisten Jungen des Dorfes. Ich bin stolz auf dich.«
Büffelfrau verbeugte sich respektvoll und lief nach draußen. Nur der Glanz in ihren braunen Augen verriet, wie stolz sie war. Sie ging anmutig wie ihre Mutter, und die jungen Krieger warfen ihr schon jetzt bewundernde Blicke zu. Ihre Augen waren groß und ausdrucksvoll, der Mund weich und geschwungen, und die hervorstehenden Wangenknochen und die ausgeprägte Nase verliehen ihr eine herbe Schönheit. Sie war groß geworden, und die tiefschwarzen Haare reichten ihr bis über die Schultern. Das Gesicht der jungen Otterfrau mochte schöner und weiblicher sein, aber kein anderes Mädchen strahlte diese katzenhafte Energie
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