Das Lied der Cheyenne
werden sie holen!« Er gebrauchte den Namen, den die Shar-ha sich gegeben hatten. Cha-hik-sicha-hiks, das Volk. Er rief seinen Kriegern einen Befehl zu, und sie ritten aus dem Tal. Noch einmal erfüllte der Kriegsruf der Shar-ha die Luft. Sie ritten über die Hügel im Osten, und nur der Anführer blickte sich noch einmal um und reckte das heilige Bündel der Sonne entgegen. »Ei-ya«, verhöhnte er die Hügelleute, »seid verflucht, ihr feigen Halsabschneider! Wir werden am Feuer über euch lachen und die Seelen eurer toten Krieger verspotten!« Er folgte seinen Kriegern zufrieden grinsend über den Hügelkamm.
Die Hügelleute traf der geballte Spott der Shar-ha mitten ins Herz. Nur Läuft-rückwärts hielt drohend seine rote Lanze nach oben und rief ihnen Schimpfwörter nach. Die anderen weinten still und erduldeten den Schmerz wie ein Hund, der im strengen Winter erdrosselt wird, wenn es nichts anderes mehr zu essen gibt. Er weiß, dass er nichts gegen die starken Menschenwesen ausrichten kann. Wenn sein Tod beschlossene Sache ist, kann ihn nichts mehr vor den Händen der Frauen retten.
Es verging viel Zeit, bis die Krieger den ersten Schmerz überwunden hatten. Stumm blickten sie auf die beiden Toten im Tal der Tränen hinab. So würde dieser Platz auch noch in vielen Wintern heißen. Büffelfrau hatte ihr Messer gezogen und brachte sich blutige Wunden bei. Sie sang ein Klagelied und trauerte um ihren Verehrer, der für die Zukunft seines Volkes gestorben war. So hatten es die Geister gewollt. Er hatte die Pfeile in eine große Schlacht getragen, wie ihr Schutzgeist vorausgesagt hatte. Er war von den Shar-ha getötet worden. Ihr Albtraum hatte sich erfüllt, und es lag an ihr, das Volk von diesem lebenslangen Fluch zu befreien. Wolfsgesicht, der Bewahrer der heiligen Pfeile, war tot.
Nur sie konnte ihr Volk retten. Aber wie?
Sie ritten in das Tal hinab und erwiesen den Toten die letzte Ehre. Büffelfrau stieg neben Weißer Biber von ihrem Pony und starrte mit leeren Augen auf das, was die Shar-ha von ihm übrig gelassen hatten. Ihr Mund war trocken und fühlte sich pelzig an. Sie hatte lange geweint, und jetzt kamen keine Tränen mehr, aber ihr ganzer Körper war vor Trauer erfüllt, und sie schrie das Klagelied der Hügelleute in den Wind. Sie riss einen Pfeil aus dem leblosen Körper und zerbrach ihn über ihrem Kopf. »Hört mich, Shar-ha!«, rief sie. »Ich bin Büffelfrau, die Schamanin des Volkes! Ich werde den Tod dieses tapferen Kriegers rächen und eure Skalpe an meine Lanze binden! Aiee, ich bin Büffelfrau, ich glaube an die Kraft des Volkes!«
25
Hoffnung
Die Hügelleute bestatteten ihre toten Krieger in einer Felshöhle und ritten in ihre Heimat zurück. Keiner sagte etwas. Sie saßen schweigend auf ihren Ponys und sahen nicht einmal auf, als der Donnervogel am fernen Horizont erschien und feurige Blitze auf die Erde schleuderte. Die Geister hatten sich gegen das Volk verschworen. Sie hatten die tsis tsis tas im Stich gelassen und sich mit den Shar-ha verbündet.
Büffelfrau hatte viele Tränen vergossen. Ihren Augen waren rot, und ihr Herz schmerzte. Sie ritt mit gesenktem Kopf und merkte nicht, dass hoch über ihr ein Adler kreiste und schützend seine Flügel ausbreitete. Ihre Gedanken waren dunkel. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie den Ratshäuptlingen empfohlen hatte, mit einem kleinen Kriegstrupp gegen die Shar-ha zu reiten, und sie würde sich niemals verzeihen, dass sie Weißer Biber erlaubt hatte, mit Wolfsgesicht in den sicheren Tod zu ziehen.
Von den Kriegern hörte sie kein aufmunterndes Wort. Die Männer hatten genug mit ihren eigenen Gefühlen zu tun und kümmerten sich nicht um sie. Sie war allein. Allein mit ihren Gedanken und der Gewissheit, dass die schweren Zeiten gekommen waren, die ihr vorhergesagt worden waren. Die Geister waren verärgert, und nur ihr Schutzgeist hielt noch zu Büffelfrau. Aber auch er war machtlos gegen die Kraft des Bösen, sonst wären seine Augen nicht im Blut ertrunken. Was würde er sagen, wenn sie ihn rief? War er noch am Leben? Wusste er, wie sie ihr Volk retten konnte, oder war dies das Ende? Sie erinnerte sich an die Entschlossenheit des alten Sieht-hinter-die-Berge, der oft tagelang gefastet und mit den Geistern gesprochen hatte. Er hatte gewusst, dass schwere Zeiten auf das Volk zukamen. Und er hatte schon damals gesagt, dass sie stark genug war, gegen die bösen Mächte zu bestehen.
Sie hob den Kopf und sah den Adler am Himmel kreisen.
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