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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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flackernde Sonnenlicht zwischen den Bäumen. Er hatte keine Angst. Sie waren stark, und mit den heiligen Pfeilen waren sie unbesiegbar. Solange das Bündel an seiner Lanze hing, konnte ihnen auch eine Übermacht der Shar-ha nichts anhaben. Längst hatte er die Schatten aus seinen Träumen verdrängt. Er ritt mit den tapfersten Kriegern der Hügelleute, und die Geister waren auf ihrer Seite. Kleiner Falke war nur gestorben, weil Rachegedanken seinen Blick getrübt hatten und die Pfeile nicht in seiner Nähe gewesen waren. Ho, das würde nicht mehr passieren. Er würde sich als Erster in den Kampf stürzen, und die feindlichen Pfeile und Kugeln würden wirkungslos an seinem Skalphemd abprallen.
    Büffelfrau ritt hinter Wolfsgesicht und hielt die Zügel locker in der Hand. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und sie versank in einem seltsamen Traum, der sie in die schneebedeckten Berge des hohen Nordens entführte. Ein heftiger Sturm tobte in den zerklüfteten Canyons. Sie sah die schemenhaften Umrisse eines Reiters, der verzweifelt versuchte, sein Pferd in ihre Nähe zu treiben, und sie spürte den Blick seiner Augen, die blau in dem weißen Flockenwirbel leuchteten. Sie sah die roten Augen ihres Schutzgeistes, der durch den kniehohen Schnee stapfte und sie aufforderte, in eine andere Welt zu kommen. Rief er sie in das Reich der Toten? Wollte er, dass sie Kleiner Falke und Blitzfrau in neue Jagdgründe begleitete? Die Flocken wirbelten dicht, und das Heulen des Windes war so laut, dass sie seine sanfte Stimme kaum verstand. Er sprach von Wolfsgesicht und von Weißer Biber, und seine roten Augen zerflossen in dem dichten Schneetreiben und wurden zu Blut.
    Das Knacken eines Astes zerstörte ihren Traum. Es war aus dem Unterholz gekommen und von den Geistern zu Büffelfrau gebracht worden. Sie öffnete die Augen und warnte die anderen durch einen leisen Zischlaut. Die Krieger verstanden und hielten sofort ihre Pferde an. Sie verharrten schweigend im Schatten der Bäume und lauschten in die unheimliche Stille hinein. Wieder ein Knacken, diesmal lauter, dann gedämpfter Hufschlag und das Rascheln von Laub. Die Schatten von zwei Kriegern, die einen Herzschlag lang im einfallenden Sonnenlicht zu sehen waren und zwischen den Bäumen verschwanden.
    »Shar-ha!«, flüsterte Büffelfrau. Sie griff nach ihrem Bogen und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Auch die anderen Krieger hielten ihre Waffen schussbereit. Erst als die Vögel wieder arglos in den Bäumen zwitscherten, und die Shar-ha weit genug entfernt waren, ließ ihre Aufmerksamkeit nach. »Zwei Jäger«, brach Büffelfrau das Schweigen. »Oder Späher, die nach uns Ausschau halten«, warnte Weißes Pferd.
    Büffelhöcker sicherte sein Gewehr und ritt nach vorn. Er zügelte sein Pony neben Wolfsgesicht und sagte: »Reite ihnen nach. Finde heraus, was sie vorhaben. Du hast die Pfeile dabei, dir wird nichts passieren. Nimm einen jungen Krieger mit.«
    Weißer Biber meldete sich freiwillig und folgte dem Süße-Medizin-Häuptling. Zu spät erinnerte Büffelfrau sich an die Weissagung ihres Schutzgeistes. Er hatte gesehen, wie Weißer Biber die heiligen Pfeile in eine große Schlacht trug und großes Unglück über das Volk hereinbrach. War dies der Augenblick? Ritt er deshalb mit Wolfsgesicht? »Weißer Biber darf die Pfeile nicht tragen«, sagte sie mehr zu sich selbst.
    Ihr Vater hatte es gehört und erschrak. Daran hatte er nicht gedacht, sonst hätte er einen anderen Krieger mit Wolfsgesicht geschickt. »Es wird keinen Kampf geben«, beruhigte er seine Tochter, »sie folgen den Shar-ha bis zum Waldrand und sehen nach, was sie vorhaben, dann kommen sie zurück. Wolfsgesicht ist ein großer Krieger. Er gibt die Pfeile nicht aus der Hand.«
    »Ich weiß«, sagte sie. Sie schalt sich eine Närrin, weil gar nicht passieren konnte, was sie in ihren bösen Träumen gesehen hatte. Weißer Biber würde nur nach den Pfeilen greifen, wenn Wolfsgesicht starb, und das war beinahe unmöglich. Er war einer der tapfersten Krieger des Volkes, beinahe so erfahren wie ihr Vater, und es war ausgeschlossen, dass er sich von zwei Shar-ha überlisten ließ. Schon gar nicht, wenn er sie nicht angriff.
    Die Hügelleute lagerten zwischen den Bäumen und warteten auf die Rückkehr von Wolfsgesicht und Weißer Biber. Büffelfrau musste schmunzelnd daran denken, wie sie zum ersten Mal allein über die Prärie geritten und ihrem Vater auf den Kriegspfad gefolgt war.

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