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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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schlechten Nachrichten«, begann der Kurier, als die Stille ihm zu lange andauerte. Er bückte sich und wuchtete
den Lederbeutel auf den Tresen. Rusco beäugte das Gepäckstück mit argwöhnischer Miene. »Das sieht nicht nach einer Salzlieferung aus«, meinte er, »und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so viel Post kriege.« »Für dich sind sechs Briefe und ein volles Dutzend Päckchen dabei«, erklärte Ragen und reichte Rusco ein zusammengefaltetes Blatt Papier. »Hier ist alles aufgelistet, zusammen mit den anderen Briefen im Beutel und den Päckchen, die noch auf dem Karren liegen. Alles muss an die Empfänger verteilt werden. Selia hat eine Kopie der Liste«, ergänzte er in warnendem Tonfall. »Und was soll ich mit dieser Liste oder deinem Postsack anfangen?«, wollte Rusco wissen. »Selia, die Dorfsprecherin, ist anderweitig beschäftigt und hat keine Zeit, die Briefe weiterzugeben, geschweige denn sie den Leuten vorzulesen, die des Lesens nicht mächtig sind. Sie schlägt vor, dass du das übernimmst.« »Und wie werde ich dafür entschädigt, dass ich während meiner Geschäftsstunden Briefe austrage und vorlese?«, fragte Rusco. »Vielleicht durch die Befriedigung, die es verschafft, wenn man seinen Nachbarn einen Gefallen tut?«, schlug Ragen vor. Rusco schnaubte vulgär durch die Nase. »Ich bin nicht nach Tibbets Bach gekommen, um Freunde zu gewinnen«, erwiderte er geringschätzig. »Ich bin Geschäftsmann und tue ohnehin schon viel Gutes für die Gemeinde.« »Tatsächlich?«, fragte Ragen mit einem Anflug von Ironie. »Ja, tatsächlich, verdammt noch mal!«, legte Rusco los. »Ehe ich mich hier niederließ, kannten die Einheimischen nur den Tauschhandel .« Er betonte das Wort, als sei es etwas Obszönes, und spuckte dazu auf den Boden. »Sie sammelten die Früchte ihrer Arbeit und trafen sich an jedem Siebenttag auf
dem Platz. Dann fingen sie an zu streiten, wie viele Bohnen eine Getreideähre wert sei, oder wie viel Reis man dem Küfer geben müsse, damit er einem ein Fass herstellte, in dem man seinen Reis aufbewahrte. Und wenn man am Siebenttag nicht bekam, was man brauchte, musste man eine ganze Woche lang warten oder von Tür zu Tür pilgern. Jetzt kann jeder zu mir kommen, Tag für Tag, jederzeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, mir seine Waren gegen Kredits verkaufen und sich dann wiederum selbst mit allem Notwendigen eindecken.«
    »Der Retter der Gemeinde«, versetzte Ragen trocken. »Und du verlangst keine Gegenleistung?«
    »Nichts außer einem angemessenen Profit«, erwiderte Rusco grinsend.
    »Und wie oft kommt es vor, dass die Hiesigen dich aufknüpfen wollen, weil du sie wieder mal übers Ohr gehauen hast?«, erkundigte sich Ragen.
    Rusco kniff leicht die Augen zusammen. »Viel zu oft, wenn man bedenkt, dass die Hälfte der Einheimischen nur so weit zählen können, wie sie Finger haben, und der Rest auch nur so schlau ist, die Zehen dazuzurechnen, wenn sie bis zwanzig kommen wollen.«
    »Von Selia soll ich dir ausrichten, dass du das nächste Mal, wenn sie dich baumeln lassen wollen, auf dich allein gestellt bist.« Ragens freundliche Stimme klang plötzlich hart. »Es sei denn, du erledigst die Sache mit der Post. Auf der anderen Seite der Siedlung haben die Leute ein schlimmeres Los zu beklagen, als ihren Nachbarn Briefe vorlesen zu müssen.«
    Rusco runzelte die Stirn, aber er schnappte sich die Liste und wuchtete den schweren Postsack in seinen Lagerraum.
    »Wie schlimm ist es wirklich?«, erkundigte er sich, als er zurückkam.

    »Sehr schlimm«, beschied ihm Ragen. »Bis jetzt hat es siebenundzwanzig Tote gegeben, und ein paar Leute werden noch vermisst.«
    »Beim Schöpfer!«, fluchte Rusco und malte ein Schutzzeichen in die Luft. »Und ich dachte, es hätte höchstens eine einzige Familie erwischt.«
    »Leider kam es anders«, seufzte Ragen.
    Beide Männer schwiegen ein paar Minuten, wie es der Anstand gebot, dann blickten sie einander gleichzeitig an.
    »Hast du das Salz für dieses Jahr mitgebracht?«, fragte Rusco.
    »Hast du den Reis für den Herzog?«, wollte Ragen wissen.
    »Die Lieferung liegt schon seit dem letzten Winter bereit«, antwortete Rusco. »Ich hatte ja damit gerechnet, dass sie viel früher abgeholt würde.«
    Ragen kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
    »Oh, der Reis ist vollkommen in Ordnung«, beeilte sich Rusco zu sagen und hob die Hände wie in einer flehenden Gebärde. »Ich habe ihn gut verpackt und trocken gelagert, und in

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