Das Lied der Dunkelheit
freundlichem Respekt behandelten, wurde er im offiziellen Flügel des Gildehauses doch eher übersehen als geehrt.
Der Sekretär des Gildemeisters ließ sie vor dessen Büro mehrere Stunden lang warten, wo sie verbittert zusahen, wie andere Besucher kamen und gingen. Rojer saß kerzengerade da und widerstand dem Drang, sich zu bewegen oder die Schultern hängen zu lassen, während das Licht vom Fenster langsam den Raum durchquerte.
»Gildemeister Cholls wird euch jetzt empfangen«, verkündete der Sekretär endlich, und sofort war Rojer wieder hellwach. Er stand rasch auf und reichte Jaycob eine Hand, um dem Alten zu helfen, auf die Beine zu kommen.
Ein Zimmer wie das Büro des Gildemeisters hatte Rojer seit seiner Zeit im herzoglichen Palast nicht mehr gesehen. Dicke, flauschige, fröhlich gemusterte Teppiche bedeckten den Boden, und an den mit Eiche getäfelten Wänden, zwischen Gemälden, die große Schlachten, schöne Frauen und Stillleben darstellten, hingen verschnörkelte Öllampen mit farbigen Glashauben. Auf dem Schreibtisch aus dunklem, glänzendem Walnussholz standen kleine, kunstvoll gearbeitete Figürchen, die als Briefbeschwerer dienten und sich in größerem Format in den Statuen wiederholten, die auf Sockeln im ganzen Zimmer verteilt waren. Hinter dem Schreibtisch prangte an der Wand das Symbol der Jongleurgilde, drei bunte Bälle.
»Ich habe nicht viel Zeit, Meister Jaycob«, begann Gildemeister Cholls, der sich nicht einmal die Mühe machte, von dem Stapel Papier auf seinem Schreibtisch hochzublicken. Er war ein vierschrötiger Mann von mindestens fünfzig Sommern, und anstatt der üblichen bunten Jongleurstracht trug er Kleidung aus besticktem Tuch wie ein Händler oder ein Adliger.
»Für diesen jungen Mann lohnt es sich, etwas Zeit zu opfern«, erwiderte Jaycob. »Er ist der Lehrling von Arrick Honigstimme.«
Nun hob Cholls doch den Kopf, wenn auch nur, um Jaycob mit einem irritierten Blick zu mustern. »Ich wusste gar nicht, dass du noch mit Arrick in Kontakt stehst«, meinte er, wobei er Rojer völlig ignorierte. »Angeblich seid ihr doch im Bösen auseinandergegangen.«
»Mit der Zeit sieht man derlei Dinge in einem milderen Licht«, versetzte Jaycob steif, und umging so eine direkte Lüge. »Ich habe mit Arrick meinen Frieden geschlossen.«
»Dann scheinst du aber der Einzige zu sein«, gluckste Cholls. »Die meisten Männer, die hier wohnen, würden den Kerl lieber erwürgen als ihm auch nur einen Blick zu gönnen.«
»Dazu ist es ein bisschen zu spät«, klärte Jaycob ihn auf. »Arrick ist tot.«
Cholls Heiterkeit verflog. »Es tut mir leid, das zu hören. Jeder Einzelne von uns ist wertvoll. Woran starb er - hat er sich zu Tode gesoffen?«
Jaycob schüttelte den Kopf. »Horclinge.«
Der Gildemeister runzelte die Stirn und spuckte in einen Messingeimer, der anscheinend nur zu diesem Zweck neben seinem Schreibtisch stand. »Wann und wo ist es passiert?«
»Vor zwei Jahren, auf der Straße nach Waldrand.«
Traurig wiegte Cholls den Kopf. »Wenn ich mich recht erinnere, dann war sein Lehrling ein ungewöhnlich guter Fiedler«, meinte er, und sah endlich in Rojers Richtung.
»In der Tat«, pflichtete Jaycob ihm bei. »Und er kann noch viel mehr. Ich möchte dir Rojer Achtfinger vorstellen.« Rojer verbeugte sich.
»Achtfinger?«, hakte der Gildemeister mit plötzlich aufflackerndem Interesse nach. »Ich habe von einem Burschen namens Achtfinger gehört, der im Westen über die Dörfer zieht. Bist du das etwa, Junge?«
Erstaunt riss Rojer die Augen auf. Arrick hatte immer behauptet, dass man sich auf dem Land schnell einen Namen machen konnte, trotzdem war er überrascht. Er fragte sich nur, ob er einen guten Ruf genoss oder einen schlechten.
»Lass es dir nicht zu Kopf steigen«, warnte Choll, als könne er seine Gedanken lesen. »Diese Hinterwäldler übertreiben maßlos!«
Rojer nickte und behielt den Blickkontakt mit dem Gildemeister bei. »Natürlich. Ich verstehe.«
»Nun, dann lass uns zur Sache kommen«, schlug Cholls vor. »Zeig mir, was du draufhast.«
»Hier?«, fragte Rojer zweifelnd. Das Büro war groß und wirkte sehr persönlich, aber mit den dicken Teppichen und dem teuren Mobiliar eignete es sich kaum für akrobatische Kunststücke und Messerwerfen.
Cholls wedelte ungeduldig mit der Hand. »Du bist jahrelang zusammen mit Arrick aufgetreten, deshalb gehe ich davon aus, dass du jonglieren und singen kannst«, erklärte er. Rojer schluckte hart. »Um eine
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