Das Lied der Dunkelheit
gefragt, aber ich hatte Angst, ich würde dir schon zu viel zumuten, indem ich dich durch die ganze Stadt schleppe, damit du meine Vorstellungen beaufsichtigst.«
»Junge«, sagte Jaycob nachdrücklich, »ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich war!«
Sie schmunzelten einander an, als sie um eine Ecke bogen, und dort mit Abrum und Sali zusammenprallten.
Hinter ihnen stand Jasin und grinste breit.
»Schön, dich wiederzusehen, mein Freund!«, begann Jasin, während Abrum eine Hand auf Rojers Schulter fallen ließ. Der Schlag in die Magengrube ließ ihn nach Luft schnappen, er kippte vornüber und stürzte auf die gefrorenen Planken. Ehe er aufstehen konnte, verpasste Sali ihm einen heftigen Tritt gegen den Kiefer.
»Lasst ihn in Ruhe!«, schrie Jaycob und warf sich auf Sali. Die dicke Sopranistin lachte nur, packte ihn und schleuderte ihn gegen eine Hauswand.
»Oh, mit dir haben wir auch noch ein Hühnchen zu rupfen, du alter Sack!«, tönte Jasin, als Sali kräftig auf Jaycob eindrosch. Rojer hörte das Knacken der spröden Knochen und die schwachen, röchelnden Atemzüge, die aus dem Mund des Meisters zischten. Lediglich die Wand hielt ihn noch aufrecht.
Die Holzplanken, auf denen er lag, drehten sich, aber Rojer rappelte sich auf die Füße, packte mit beiden Händen die Fiedel am Hals und schwenkte wild seine behelfsmäßige Keule. »Das werdet ihr noch bereuen! Damit kommt ihr nicht durch!«, schrie er.
Jasin gluckste amüsiert. »Bei wem willst du dich denn beschweren?«, fragte er. »Bildest du dir ein, beim Stadtrat zählen die offensichtlich falschen Anschuldigungen eines unbedeutenden Straßenkünstlers mehr als das Wort eines Mannes, dessen Onkel der Erste Minister ist? Wende dich ruhig an die Obrigkeit, aber sie werden dich hängen und nicht uns.«
Mühelos fing Abrum den Schlag mit der Fiedel ab, verrenkte Rojers Arm und rammte ihm ein Knie in den Schritt. Rojer merkte, wie sein Arm brach, während ein brennender Schmerz in seinen Lenden wütete. Die Fiedel prallte gegen seinen Hinterkopf und zerbarst, als er ein zweites Mal niedergeschlagen wurde.
Noch durch das Dröhnen in seinen Ohren hörte Rojer, wie Jaycob vor Schmerzen stöhnte. Abrum baute sich über ihm auf und hob lächelnd eine schwere Keule.
26
Das Hospital
332 NR
Ay, Jizell!«, rief Skot, als die alte Kräutersammlerin mit ihrer Waschschüssel zu ihm kam. »Lass doch ausnahmsweise deine Schülerin diese Arbeit machen.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf Leesha, die bei einem anderen Mann die Verbände wechselte.
»Ha!«, bellte Jizell. Sie war eine korpulente Frau mit kurzem grauem Haar und einer dröhnenden Stimme. »Wenn ich es zuließe, dass sie die Patienten wäscht, dann würde sich binnen einer Woche halb Angiers hier einfinden und ein Wehwehchen vortäuschen!«
Leesha schüttelte den Kopf, während die anderen Patienten im Zimmer lachten, doch sie gestattete sich ein leises Schmunzeln. Skot war harmlos. Er war ein Kurier, den sein Pferd auf der Straße abgeworfen hatte. Er konnte froh sein, dass er überhaupt noch am Leben war, denn immerhin hatte er sich bei dem Sturz beide Arme gebrochen. Doch er hatte es irgendwie geschafft, sein Ross wieder einzufangen und sich in den Sattel zu quälen. Auf ihn wartete zu Hause keine Ehefrau, die ihn hätte pflegen können, und deshalb bezahlte die Gilde der Kuriere seine Unterbringung in Jizells Hospital, bis er sich wieder allein helfen konnte.
Jizell tauchte einen Lappen in das warme Seifenwasser und schlug die Zudecke des Mannes zurück; dann fing sie an, ihn mit resoluten, geübten Bewegungen zu waschen. Als sie fertig war, stieß der Mann einen hohen, quiekenden Schrei aus, und Jizell lachte. »Nur gut, dass ich das Waschen übernehme«, erklärte sie mit lauter Stimme und einem Blick nach unten. »Wir wollen die arme Leesha doch nicht enttäuschen.«
Die Patienten in den übrigen Betten brüllten vor Lachen. Es gefiel ihnen, sich auf Kosten eines anderen amüsieren zu können. Der Raum war voll belegt, und alle litten an Langeweile.
»Ich glaube, sie würde ihn etwas größer vorfinden als du«, grollte Skot und lief rot an, doch auch diese Bemerkung quittierte Jizell mit einem Lachen.
»Der arme Skot ist in dich verknallt«, erzählte Jizell Leesha später, als sie in der Apotheke Kräuter zerstampften.
»Verknallt?«, prustete Kadie, eine der jüngsten Schülerinnen. »Er ist nicht in Leesha verknallt, er ist in sie
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