Das Lied der Dunkelheit
einen Fehler machte.
Er hatte ein bisschen Geld, Münzen, die er im Laufe der Jahre in seinem Hut gesammelt und für den Fall seiner Rückkehr gespart hatte; in seinem Gepäck befand sich außerdem etwas Proviant. Viel war es nicht, aber zumindest die nächsten Nächte würde er nicht in den öffentlichen Schutzhäusern schlafen müssen.
Wenn ich nicht mehr verlange als einen vollen Bauch und ein Dach über dem Kopf, dann kann ich immer noch in die Dörfer zurückgehen, sagte er sich. Er konnte sich nach Süden wenden, wo die Weiler Bauerngarten und das Tal der Holzfäller lagen, oder in den Norden gehen, wo der Herzog den Ort Flussbrücke auf der Angieranischen Seite des Stromes wiederaufgebaut hatte.
Ich werde ja sehen, dachte er, fasste sich ein Herz und marschierte durchs Tor.
Er fand einen hinreichend billigen Gasthof, packte seine beste Jongleurskluft aus und eilte wieder nach draußen, sobald er umgezogen war. Das Gildehaus der Jongleure lag in der Nähe des Stadtzentrums, von wo aus seine Bewohner leicht zu jedem ihrer Auftritte in sämtlichen Bezirken gelangen konnten. Jeder lizensierte Jongleur durfte in dem Haus wohnen, vorausgesetzt, er nahm die ihm zugewiesenen Aufträge an, ohne sich zu beklagen, und trat die Hälfte seiner Einnahmen an die Gilde ab.
»Narren!«, hatte Arrick sie genannt. »Jeder Jongleur, der bereit ist, auf die Hälfte seiner Einkünfte zu verzichten, nur damit er ein Dach über dem Kopf hat und dreimal pro Tag für eine Schale Hafergrütze anstehen darf, ist eine Schande für diesen Berufsstand. Er hat es nicht verdient, sich Jongleur nennen zu dürfen!«
Und damit hatte er sogar Recht. Nur die ältesten und ungeschicktesten Jongleure lebten in dem Haus, bereit, die Aufträge zu übernehmen, die andere ablehnten. Trotzdem war es immer noch besser als Not zu leiden, und hier konnte man sich sicherer fühlen als in den öffentlichen Asylen. Die Siegel am Gildehaus waren stark, und seine Bewohner neigten weniger dazu, sich gegenseitig zu berauben.
Rojer steuerte auf das Gildehaus zu, und nach ein paar Erkundigungen klopfte er schon bald an eine ganz bestimmte Tür.
»Eh?«, fragte der alte Mann und blinzelte in den Korridor, nachdem er aufgemacht hatte. »Wer bist du?«
»Rojer Achtfinger, werter Herr«, antwortete Rojer, und als er an dem Blick in den wässrigen Augen merkte, dass der Alte ihn nicht erkannte, fügte er hinzu: »Ich war Lehrling bei Arrick Honigstimme.«
Die Verwirrung des Mannes schlug in Ablehnung um, und er wollte die Tür wieder schließen.
»Meister Jaycob, bitte«, flehte Rojer und legte seine Hand gegen das Türblatt.
Der Alte seufzte, ließ die Tür jedoch offen, als er sich in das enge Kabuff zurückzog und sich schwerfällig setzte. Rojer trat ein und zog die Tür hinter sich zu.
»Was willst du?«, fragte Jaycob. »Ich bin ein alter Mann und habe keine Zeit für Spielchen.«
»Ich brauche einen Gönner, wenn ich bei der Gilde eine Lizenz beantragen will«, erklärte Rojer.
Jaycob spuckte auf den Boden. »Ist Arrick dir zu einer Belastung geworden?«, erkundigte er sich. »Steht seine Sauferei deinem Erfolg im Weg, sodass du ihn jetzt in seinem Dreck verkommen lässt und dich auf eigene Füße stellen willst?« Er grunzte. »Geschieht ihm ganz recht. Genauso hat er mich vor fünfundzwanzig Jahren im Stich gelassen.«
Er sah Rojer streng an. »Aber egal, ob er es verdient hat oder nicht, wenn du glaubst, ich würde dir bei deinem Verrat helfen …«
»Meister Jaycob«, fiel Rojer ihm ins Wort und hob beide Hände, um die Tirade zu stoppen, »Arrick ist tot. Vor zwei Jahren haben ihn die Horclinge auf der Straße nach Waldrand umgebracht.«
»Halt dich gerade, Junge, drück das Kreuz durch«, ermahnte Jaycob ihn, als sie durch den Saal gingen. »Vergiss nicht, dem Gildemeister in die Augen zu sehen, und sprich nur, wenn du dazu aufgefordert wirst.«
Diese Ratschläge wiederholte er nun schon ein Dutzend Mal, doch Rojer nickte nur. Für eine eigene Lizenz war er noch sehr jung, aber Jaycob hatte erklärt, in der Geschichte der Gilde gäbe es Beispiele, dass noch jüngere Burschen eine Lizenz erhalten hätten. Diese erwarb man sich durch Talent und Geschicklichkeit, und nicht, weil man alt genug war.
Selbst mit einem Fürsprecher war es nicht leicht gewesen, zum Gildemeister vorgelassen zu werden. Jaycob war schon seit Jahren zu schwach, um noch Vorstellungen zu geben, und während die Gildemitglieder ihn aufgrund seines hohen Alters mit
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