Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
heiterem Himmel kehrtzumachen und der Bande eine Waffe schwingend entgegenzustürmen.
    Cobie bekam den ersten Schlag ab, einen wuchtigen Hieb, der ihn zu Boden gehen ließ; dort wälzte er sich weinend im Staub, und aus einem Ohr sickerte Blut. Willum holte sich einen gebrochenen Finger, und Gart humpelte über eine Woche
lang. Diese Tat trug nicht dazu bei, Arlens Beliebtheit bei den anderen Kindern zu steigern, und sein Vater versohlte ihn mit einem Stock, doch seitdem hatte ihn niemand mehr belästigt. Selbst jetzt machte Cobie einen möglichst großen Bogen um ihn und zuckte jedes Mal zusammen, wenn Arlen eine hastige Bewegung machte, obwohl er wesentlich größer und stärker war als er.
    »Überlebende!«, schrie Bil Bäcker plötzlich, der vor einem zusammengebrochenen Haus am Rand der Siedlung stand. »Ich kann sie hören, sie sind im Wurzelkeller eingeschlossen!«
    Sofort ließen die Leute alles stehen und liegen und stürzten zu Bil. Den Schutt wegzuräumen würde zu lange dauern, deshalb fingen die Männer wie fieberhaft an zu graben; stumm und verbissen gingen sie zu Werke. Schon bald durchstießen sie eine Seite der Kellerwand und fingen an, die Überlebenden aus der Öffnung herauszuziehen. Die Leute waren völlig verdreckt und verängstigt, aber sie lebten. Nacheinander beförderte man drei Frauen, sechs Kinder und einen Mann ins Freie.
    »Onkel Cholie!«, rief Arlen, und schon eilte seine Mutter herbei. Sie schlang die Arme um ihren Bruder, der wie trunken torkelte. Arlen hastete zu Hilfe und schob seine Schulter unter Cholies andere Achselhöhle, um ihn zu stützen.
    »Cholie, was machst du denn hier?«, staunte Silvy. Cholie verließ nur selten seine Werkstatt, die er im Weiler Stadtplatz betrieb. Mindestens tausendmal hatte Arlens Mutter die Geschichte erzählt, wie sie und ihr Bruder gemeinsam die Hufschmiede betrieben hatten, ehe Jeph anfing, absichtlich die Hufeisen seiner Pferde zu zerbrechen, um einen Vorwand zu haben, die Schmiede aufzusuchen und um Silvy zu werben.
    »Ich kam hierher, um Ana Holzfäller den Hof zu machen«, nuschelte Cholie. Er zerrte an seinem Haar, von dem er sich bereits
ganze Büschel ausgerissen hatte. »Wir hatten gerade das Fluchtloch geöffnet, als sie die Siegel durchbrachen …« Die Beine gaben unter ihm nach, und mit seinem Gewicht zog er Arlen und Silvy zu Boden. Im Dreck kniend, fing er bitterlich an zu weinen.
    Arlen warf einen Blick auf die anderen Überlebenden. Ana Holzfäller war nicht bei ihnen. Seine Kehle schnürte sich schmerzhaft zusammen, als die Kinder an ihm vorbeischlichen. Er kannte sie alle, ihre Familien, ihre Häuser innen wie außen, wusste sogar die Namen ihrer Tiere. Im Vorbeischlurfen blickten sie ihn flüchtig an, und in diesen Sekunden durchlebte er den Angriff, als hätte er ihn selbst mitgemacht und durch ihre Augen gesehen. Er glaubte zu spüren, wie er in ein enges Loch im Fußboden gestoßen wurde, während diejenigen, die nicht mehr hineinpassten, den Horclingen und dem Feuer ausgeliefert waren. Plötzlich fing er an nach Luft zu schnappen und konnte gar nicht mehr aufhören, bis Jeph ihm ein paar kräftige Schläge auf den Rücken versetzte und er wieder zu Sinnen kam.

    Sie beendeten gerade eine kalte Mittagsmahlzeit, als vom anderen Bachufer ein Hornsignal ertönte.
    »Doch nicht der zweite Angriff in zwei Tagen?«, keuchte Silvy und hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund.
    »Bah!«, knurrte Selia. »Um die Mittagsstunde? Benutze deinen Verstand, Mädchen!«
    »Aber was könnte …?«
    Selia schenkte ihr keine Beachtung, sondern stand auf, um einen Hornbläser zu suchen, der das Signal erwiderte. Keven aus dem Dorf Sumpfland hielt sein Horn bereit, wie es bei den
Bewohnern der Feuchtgebiete üblich war. In den Marschen konnte man sich leicht verirren, und keiner wollte im Freien sein, wenn die Sumpfdämonen aus dem morastigen Boden aufstiegen. Kevens Backen blähten sich auf wie der Kehlsack eines Frosches, als er eine Folge von Tönen schmetterte.
    »Das war das Horn eines Kuriers«, erklärte Coran aus dem Weiler Sumpfland der atemlos lauschenden Silvy. Der alte Graubart war Sprecher für die Bevölkerung der Marschen und Kevens Vater. »Wahrscheinlich haben sie den Rauch gesehen. Keven teilt ihnen mit, was passiert ist und wo sie uns finden.«
    »Ein Kurier im Frühling?«, wunderte sich Arlen. »Ich dachte, sie kämen im Herbst, nach der Ernte. Mit der Aussaat sind wir doch erst beim letzten Mond fertig

Weitere Kostenlose Bücher