Das Lied der Dunkelheit
ehelichen Hauses zu überqueren. Sie hatte sich selbst das Versprechen gegeben, nie so zu werden wie Elona. Und nun stand sie im Begriff, all ihre hehren Ideale zu verraten und nur wenige Schritte von ihrer liederlichen Mutter entfernt selbst mit einem Jungen Unzucht zu treiben.
Es sind die Eidesbrecher, die ich verabscheue, hörte sie in Gedanken Brunas Worte, und dann drückte sie mit beiden Händen energisch gegen Gareds Brust.
»Gared … nein … bitte«, flüsterte sie. Eine geraume Zeit lang rührte sich der Junge nicht, er wirkte wie erstarrt. Schließlich wälzte er sich von ihr herunter und zog seine Hosen wieder an.
»Sei mir nicht böse, aber ich kann nicht«, murmelte Leesha mit dünner Stimme. »Es tut mir leid.«
»Nein, es tut mir leid«, erwiderte Gared. Er küsste sie auf die Schläfe. »Ich kann warten.«
Leesha zog ihn in einer heftigen Umarmung an sich, und dann stand Gared auf, um zu gehen. Sie wünschte sich, er möge bei ihr bleiben und Seite an Seite mit ihr schlafen, aber sie hatten ihr Glück bereits überstrapaziert. Wenn man sie zusammen unter der Bettdecke erwischte, würde Elona sie streng bestrafen, obwohl sie selbst gesündigt hatte. Vielleicht gerade deshalb.
Als die Tür zur Werkstatt ins Schloss fiel, legte Leesha sich wieder hin und dachte voll wärmender Liebe an Gared. Egal, wie sehr ihre Mutter sie schikanieren mochte, solange sie Gared hatte, konnte sie alles ertragen.
Beim Frühstück herrschte eine angespannte Atmosphäre; in der ungemütlichen Stille, die über dem Tisch lastete, schienen die Kau- und Schluckgeräusche unnatürlich laut zu klingen. Jeder hielt es für das Beste, lieber gar nichts zu sagen als vielleicht exakt das Verkehrte auszusprechen. Wortlos räumte Leesha hinterher den Tisch ab, während Gared und Steave ihre Äxte holten.
»Bist du heute in der Werkstatt?«, fragte Gared und brach so das Schweigen. Zum ersten Mal an diesem Morgen blickte Erny hoch und wartete voller Interesse auf Leeshas Antwort.
»Ich habe Bruna versprochen, mich heute wieder um die Verletzten zu kümmern.« Während sie sprach, sah sie mit einem
entschuldigenden Ausdruck ihren Vater an. Erny nickte verständnisvoll und lächelte leicht.
»Und wie lange soll das so weitergehen?«, erkundigte sich Elona.
Leesha zuckte die Achseln. »Vermutlich bis sie genesen sind.«
»Du verbringst viel zu viel Zeit mit dieser alten Hexe«, warf Elona ihr vor.
»Auf deinen eigenen Wunsch hin«, schoss Leesha zurück.
Elona strafte sie mit einem wütenden Blick ab. »Werde nicht frech, Mädchen. Fang jetzt bloß nicht an, mir Widerworte zu geben.«
In Leesha brodelte der Zorn hoch, doch sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, während sie sich ihren Umhang über die Schultern warf. »Keine Sorge, Mutter«, säuselte sie, »ich werde schon nicht zu viel von ihrem Tee trinken.«
Steave prustete durch die Nase, und Elona traten vor Verblüffung beinahe die Augen aus dem Kopf; aber ehe sie sich wieder soweit erholen konnte, um eine Antwort zu geben, rauschte Leesha zur Tür hinaus.
Gared begleitete sie ein Stück weit, aber bald erreichten sie die Stelle, an der sich die Holzfäller jeden Morgen trafen, und Gareds Freunde warteten schon auf ihn.
»Du bist heute aber spät dran, Gar«, knurrte Evin.
»Jetzt hat er eine Frau, die für ihn kocht«, stichelte Flinn. »Da bleibt jeder Mann gern zu Hause.«
»Ich frage mich, ob er nachts überhaupt geschlafen hat«, schnaubte Ren. »Ich schätze, er kriegt mehr von ihr als nur was zu essen, und das direkt vor der Nase ihres Vaters.«
»Stimmt das, was Ren sagt, Gar?«, fragte Flinn. »Hast du letzte Nacht einen neuen Ort gefunden, an dem du deine Axt unterbringen kannst?«
Leesha ärgerte sich über das zotige Gerede und öffnete den Mund, um die Burschen zurechtzustutzen, aber Gared legte beschwichtigend eine Hand auf ihre Schulter. »Beachte sie gar nicht«, riet er ihr. »Sie versuchen nur, dich zur Weißglut zu reizen.«
»Du könntest meine Ehre ruhig verteidigen«, meinte Leesha. Beim Schöpfer, die jungen Kerle prügelten sich doch sonst wegen jeder Kleinigkeit.
»Und das werde ich auch«, versprach Gared. »Verlass dich drauf. Ich will nur nicht, dass du dabei zusiehst. Es ist besser, wenn du nicht miterlebst, wie ich richtig in Zorn gerate. Du sollst mich auch weiterhin für sanftmütig halten.«
»Du bist sanftmütig«, erwiderte Leesha liebevoll und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Wange zu küssen. Die
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