Das Lied der Dunkelheit
weicher Rizonischer Wolle waren mit Flecken besudelt, von denen nur der Schöpfer wusste, welchen Ursprungs sie sein mochten; die gesamte Schlafstätte verströmte einen Mief aus nach Moschus stinkendem Schweiß und dem teuren Angieranischen Parfüm, das ihre Mutter bevorzugte.
Leesha wurde übel. Ihr kostbares Buch mit beiden Händen umklammernd, flüchtete sie sich in die Werkstatt ihres Vaters; sie weinte, während sie vergebens versuchte, das Buch vom Schmutz zu reinigen. Nach einer Weile wurde sie dort von Gared aufgestöbert.
»Hier versteckst du dich also, wenn du wegläufst«, stellte er fest und schickte sich an, sie in seine kräftigen Arme zu schließen.
Leesha wich vor ihm zurück, rieb sich die Augen und rang um Fassung. »Ich musste einfach einen Moment lang allein sein.«
Gared packte sie am Arm. »Hast du dich über den Witz geärgert, den deine Mam gemacht hat?«
Leesha schüttelte den Kopf und wollte sich aus seinem Griff befreien, aber er hielt sie fest.
»Ich habe nur über meinen Dad gelacht«, fuhr er fort. »Dein Eintopf hat mir sehr gut geschmeckt.«
»Wirklich?«, Leesha zog die Nase hoch.
»Wirklich«, beteuerte er, zog sie an sich und küsste sie ausgiebig. »Mit so leckerem Essen können wir eine ganze Armee von Söhnen großziehen«, flüsterte er.
Leesha kicherte. »Für mich könnte es schwierig werden, eine Armee aus lauter kleinen Gareds aus meinem Schoß zu quetschen«, scherzte sie.
Er presste sie noch enger an sich und drückte seine Lippen an ihr Ohr. »Im Augenblick bin ich nur daran interessiert, dass du einen einzigen Gared in deinen Schoß hineinlässt«, wisperte er mit heiserer Stimme.
Leesha stöhnte, aber mit sanfter Gewalt schob sie den Jungen von sich weg. »Nicht mehr lange, und wir sind ein Ehepaar«, vertröstete sie ihn.
»Mir kann es nicht schnell genug gehen«, erwiderte Gared, aber er ließ sie los.
Eingehüllt in Decken lag Leesha vor dem Kamin in der Wohnstube. Steave hatte sich in ihrer Kammer eingenistet, und Gared nächtigte auf einem Feldbett in der Werkstatt. Der Fußboden war nachts kalt und zugig, und auf dem groben Wollteppich lag es sich nicht bequem. Sie sehnte sich nach ihrem eigenen Bett, doch um den Gestank von Steaves und Elonas Sünde loszuwerden, würde sie das ganze Bettzeug verbrennen müssen.
Sie wunderte sich, dass Elona sich überhaupt die Mühe machte, den anderen dieses schäbige Theater vorzuspielen. Jeder im
Haus wusste doch Bescheid, was los war. Genauso gut hätte sie Erny in die Wohnstube verbannen und Steave direkt in ihr Bett holen können.
Leesha konnte es nicht abwarten, zusammen mit Gared dieses Haus zu verlassen.
Wach lag sie da, lauschte den Dämonen, die versuchten, den Schutzwall zu durchbrechen, und hing ihren eigenen Wunschträumen nach. Sie stellte sich vor, sie würde gemeinsam mit Gared die Papierwerkstatt betreiben, während ihr Vater seinen Ruhestand genoss und Elona und Steave nicht mehr unter den Lebenden weilten. In Gedanken sah sie sich mit gewölbtem Leib, in dem wieder ein Kind heranwuchs; sie war dabei, die Buchführung zu erledigen, als Gared zu ihr ins Zimmer trat, geschmeidig und verschwitzt von der Arbeit an den Maschinen. Er küsste sie im Beisein ihrer Kinder, die ausgelassen in der Werkstatt herumtollten.
Das Bild erwärmte ihr Herz, aber sie erinnerte sich an Brunas Worte und fragte sich, ob sie vielleicht etwas verpasste, wenn sie ihr Leben ausschließlich dem Kinderkriegen und der Papiererzeugung widmete. Abermals schloss sie die Augen und sah sich selbst als die Kräutersammlerin vom Tal der Holzfäller; alle verließen sich darauf, dass sie ihre Krankheiten kurierte, ihren Kindern auf die Welt half und ihre Wunden heilte. Es war ein machtvolles, beeindruckendes Bild, doch es fiel ihr schwer, Gared oder ihre eigenen Nachkommen einzufügen. Eine Kräutersammlerin musste bei den Leidenden Hausbesuche machen, und es wäre unrealistisch anzunehmen, dass Gared ihre Kräuter und Instrumente hin und her schleppen würde; ebenso wenig vermochte sie sich auszumalen, dass Gared die Kinder hütete, während sie ihrer Arbeit als Heilerin nachging.
Bruna hatte es vor vielen Jahrzehnten allerdings geschafft, eine Familie mit ihrer Berufung zu verbinden; sie hatte geheiratet,
Kinder großgezogen und obendrein kranke Menschen behandelt. Leesha konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es ihr gelungen war, all diese Aufgaben miteinander zu vereinbaren. Sie nahm sich vor, die Alte bei
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