Das Lied der Dunkelheit
zurechtkommen!«
»Das glaube ich kaum«, grummelte Bruna, doch sie ließ sich von Leesha auf die Beine helfen und vor die Tür führen.
Die Sonne stand hoch am Himmel, und das Gras, das rings um das Heilige Haus wuchs, war üppig und grün bis auf ein paar Stellen, die von den Flammendämonen zu schwarzer Asche verbrannt worden waren. Leesha breitete eine Decke aus und legte Bruna darauf; danach brachte sie ihr einen stärkenden Tee und weiches Brot, das die Greisin mit ihren wenigen verbliebenen Zähnen gut kauen konnte.
Eine Zeit lang saßen sie in freundschaftlichem Schweigen zusammen und genossen den warmen Frühlingstag. Jetzt schämte sich Leesha dafür, dass sie in einer Anwandlung von Groll Bruna mit ihrer Mutter verglichen hatte; sie hatte sich zu einer Ungerechtigkeit hinreißen lassen. Wann hatte sie zum letzten Mal still und gemütlich mit Elona in der Sonne gesessen? Hatte sie überhaupt jemals so etwas wie Geselligkeit mit ihrer Mutter geteilt?
Sie hörte ein rasselndes Geräusch, und als sie sich umblickte, sah sie Bruna, die mit offenem Mund schnarchte. Leesha lächelte und deckte die Frau mit ihrem Umschlagtuch zu. Genüsslich streckte sie die Beine aus, um es sich bequemer zu machen, und dabei erspähte sie Saira und Mairy, die ganz in der Nähe auf einer Decke saßen und sich mit Näharbeiten beschäftigten. Ihre Freundinnen winkten ihr zu und bedeuteten ihr, sie solle zu ihnen herüberkommen. Bereitwillig rückten sie zur Seite, um auf der Decke Platz für Leesha zu machen.
»Wie gefällt dir die Arbeit als Heilerin?«, erkundigte sich Mairy.
»In erster Linie ist sie sehr anstrengend«, antwortete Leesha. »Wo steckt eigentlich Brianne?«
Die Mädchen tauschten Blicke und kicherten. »Sie hat sich in den Wald verdrückt. Mit Evin«, erwiderte Saira.
Leesha schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Eines Tages wird sie noch enden wie Klarissa.«
Saira zuckte mit den Schultern. »Brianne sagt, man kann nichts verdammen, was man nicht selbst ausprobiert hat.«
»Wirst du es genauso machen?«, fragte Leesha. »Vor der Hochzeit ausprobieren, wie es ist, mit einem Mann zusammen zu sein?«
»Du denkst, es gäbe keinen Grund, nicht zu warten«, versetzte Saira. »Früher dachte ich genauso, bis Jak von den Dämonen getötet wurde. Jetzt würde ich alles darum geben, wenn ich ihn nur ein einziges Mal zwischen meinen Schenkeln gehabt hätte, bevor er starb. Ich wünschte mir sogar, ich hätte ein Kind von ihm bekommen.«
»Entschuldige bitte. Ich wollte dir nicht wehtun«, erwiderte Leesha.
»Schon gut«, entgegnete Saira traurig. Leesha umarmte sie und Mairy schloss sich der Umarmung an.
»Oh, wie süß!«, rief jemand hinter ihnen. »Ich möchte auch umarmt werden!« Als sie hochblickten, prallte Brianne mit ihnen zusammen, und alle Mädchen fielen lachend ins Gras.
»Du hast ja gute Laune heute«, kommentierte Leesha.
»Das kommt davon, wenn man sich mit einem Jungen im Wald vergnügt hat«, erwiderte Brianne augenzwinkernd und stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen. »Außerdem hat Evin mir ein Geeeheimnis anvertraut«, fügte sie in singendem Tonfall hinzu.
»Erzähl’s uns!«, kreischten die drei Mädchen im Chor.
Brianne lachte übermütig und blickte dabei Leesha an. »Vielleicht später«, wich sie aus. »Und wie geht es Brunas neuer Schülerin heute?«
»Ich bin nicht Brunas Schülerin, auch wenn sie es vielleicht gern hätte«, protestierte Leesha. »Wenn Gared und ich erst verheiratet sind, werde ich die Werkstatt meines Vaters weiterführen. Ich helfe Bruna nur, die Kranken zu versorgen.«
»Für mich wäre das nichts«, erklärte Brianne. »Heilen und Kräutersammeln scheint eine schwere Arbeit zu sein. Du siehst fürchterlich aus. Hast du gestern Nacht nicht genug Schlaf bekommen?«
Leesha schürzte die Lippen. »Nun, der Fußboden neben dem Kamin ist nicht so weich wie ein Bett.«
»Mir würde es nichts ausmachen, auf dem Boden zu schlafen, wenn Gared unter mir läge«, versetzte Brianne.
»Und was soll das schon wieder heißen?«, fragte Leesha.
»Spiel nicht die Dumme, Leesh«, entgegnete Brianne mit einer Spur Gereiztheit. »Wir sind doch Freundinnen.«
Leesha wurde wütend. »Wenn du damit andeuten willst …!«
»Steig runter von deinem Sockel, Leesha«, fiel Brianne ihr ins Wort. »Ich weiß, dass Gared dich gestern Nacht hatte. Warum kannst du es vor uns nicht zugeben? Ich hätte dich für ehrlicher gehalten.«
Saira und Mairy schnappten nach Luft, und
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