Das Lied der Dunkelheit
ihre Mutter auf diese Eröffnung reagierte.
Es war schon spät am Tag, als sie das Haus ihres Vaters betrat. Bald würden Gared und Steave aus den Wäldern zurückkommen. Bevor sie eintrafen, musste die Konfrontation mit ihrer Mutter beendet sein.
»Nun, da hast du ja wirklich einen Schlamassel angerichtet«, begrüßte Elona sie in beißendem Ton. »Jetzt ist in aller Munde, dass meine Tochter eine Schlampe ist.«
»Ich bin keine Schlampe«, entgegnete Leesha. »Gared hat gelogen.«
»Gib ihm nicht die Schuld, nur weil du die Beine breit gemacht hast!«
»Ich habe nicht mit ihm geschlafen«, beharrte Leesha.
»Ha!«, bellte Elona. »Für wie dumm hältst du mich eigentlich, Leesha? Ich war auch einmal jung.«
»Seit Steave bei uns wohnt, warst du jede Nacht ›jung‹«, versetzte Leesha. »Und ich bleibe dabei, dass Gared gelogen hat!«
Elona schlug nach ihr, und sie stürzte zu Boden. »Untersteh dich, so mit mir zu sprechen, du kleine Hure!«, kreischte sie.
Leesha blieb reglos liegen, denn sie wusste, wenn sie sich rührte, würde ihre Mutter abermals zuschlagen. Ihre Wange brannte wie Feuer.
Als Elona sah, dass ihre Tochter klein beigab, holte sie tief Luft und schien sich ein wenig zu beruhigen. »Im Übrigen ist es völlig egal, ob du es mit Gared getrieben hast oder nicht. Ich fand schon immer, du müsstest mal von dem Podest gestoßen werden, auf das dein idiotischer Vater dich gestellt hat. Bald seid ihr ohnehin verheiratet, und irgendwann werden es die Leute leid, sich über dich das Maul zu zerreißen.«
Leesha wappnete sich innerlich für den Kampf, der nun unausweichlich war. »Ich werde Gared nicht heiraten«, platzte sie
heraus. »Er ist ein Lügner und ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
»Selbstverständlich wirst du ihn heiraten«, entgegnete Elona. »Etwas anderes kommt gar nicht in Frage.«
»Auf gar keinen Fall werde ich seine Frau.« Leesha merkte, wie ihre Widerstandskraft wuchs, je länger der Wortwechsel dauerte. Langsam stellte sie sich auf die Füße. »Du kannst mich nicht zwingen, das Ehegelöbnis zu sprechen.«
»Das werden wir ja sehen«, meinte Elona und nahm ihren Gürtel ab. Es war ein dicker Lederriemen mit einer Schnalle aus Metall, den sie immer locker um die Taille trug. Leesha glaubte, sie tat dies nur, damit sie ihn ständig parat hatte, um sie schlagen zu können.
Den Gürtel in der Hand, stürzte sie sich auf Leesha, die sich kreischend in die Küche flüchtete; zu spät merkte sie, dass dies der letzte Ort war, in dem sie hätte Zuflucht suchen sollen, denn es gab nur eine einzige Tür.
Sie brüllte vor Schmerzen, als die Gürtelschnalle auf ihren Rücken klatschte. Elona holte erneut aus, und in ihrer Verzweiflung warf Leesha sich auf ihre Mutter. Als sie beide zu Boden fielen, hörte sie, wie die Tür aufging, und Steaves Stimme erklang. Gleichzeitig rief jemand aus der Werkstatt eine Frage.
Elona nutzte die Ablenkung, um ihrer Tochter einen Fausthieb ins Gesicht zu verpassen. Blitzschnell sprang sie auf die Beine und schwang den Gürtel ein zweites Mal. Wieder schrie Leesha auf, als sie von der Metallschließe getroffen wurde.
»Was zum Horc ist da los?«, brüllte jemand von der Tür her. Leesha blickte hoch und sah ihren Vater, der sich abmühte, in die Küche zu gelangen; doch Steave versperrte ihm mit seinem muskulösen Arm den Weg.
»Lass mich durch!«, schrie Erny.
»Lass das die Frauen unter sich ausmachen«, erwiderte Steave grinsend.
»Du bist nur ein Gast in meinem Haus!«, wetterte Erny. »Und du wirst mich jetzt sofort vorbeilassen!«
Als Steave sich nicht vom Fleck rührte, verpasste Erny ihm einen Boxhieb.
Alle erstarrten. Offensichtlich hatte Steave den Schlag gar nicht gespürt. Er unterbrach die jäh eingetretene Stille mit einem schallenden Lachen und stieß Erny seine riesige Pranke vor die Brust; in hohem Bogen flog Leeshas Vater in die Wohnstube zurück.
»So, jetzt könnt ihr zwei in aller Ruhe eure Meinungsverschiedenheit austragen«, verkündete Steave mit einem Augenzwinkern. Dann schloss er die Küchentür, und Elona fiel abermals über ihre Tochter her.
Leesha weinte leise im Hinterzimmer der Werkstatt, während sie vorsichtig die blutigen Striemen und Prellungen auf ihrer Haut abtupfte. Mit den richtigen Kräutern hätte sie die Schmerzen lindern können, doch so musste sie sich mit einem in kaltes Wasser getauchten Lappen begnügen.
Gleich nach ihrer Tortur war sie in die Werkstatt geflohen, hatte die
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