Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
Tür von innen verriegelt und sie selbst dann nicht aufgemacht, als ihr Vater behutsam anklopfte. Als die Wunden gesäubert und die tiefsten Verletzungen verbunden waren, krümmte sich Leesha auf dem Boden zusammen und zitterte vor Schmerzen und Scham.
    »An dem Tag, an dem du deine erste Monatsblutung hast, wirst du Gared heiraten! Oder ich verprügele dich so lange, bis du nachgibst«, hatte Elona gedroht.

    Leesha wusste, dass ihre Mutter es ernst meinte, und ihr war ebenfalls klar, dass viele Leute für Elona Partei ergreifen würden, dafür hatte Gared mit seiner Lüge gesorgt. Man würde von ihr verlangen, dass sie ihn heiratete, und es war ihnen einerlei, wenn Elona sie grün und blau schlug. Noch nie hatte jemand Mitleid mit ihr gehabt, wenn sie mit den Verletzungen, die ihre Mutter ihr beibrachte, herumlief.
    Und ich werde ihn nicht heiraten, schwor sie sich. Eher gebe ich mich der Nacht hin.
    In diesem Moment spürte sie im Unterleib einen schmerzhaften Krampf. Sie stöhnte, und dann merkte sie, wie etwas Feuchtes an ihren Schenkeln herablief. Entsetzt trocknete sie sich mit einem sauberen Tuch ab und betete inbrünstig; doch als hätte ihr der Schöpfer einen ironischen Streich gespielt, war der Lappen blutig, als sie ihn zurückzog.
    Leesha stieß einen gellenden Schrei aus. Vom Haus her ertönte ein Ruf.
    Dann hämmerte jemand heftig gegen die Tür. »Leesha, was ist passiert?«, wollte ihr Vater wissen.
    Leesha antwortete nicht, sondern starrte fassungslos auf das Blut. Waren erst zwei Tage vergangen, seit sie gebetet hatte, sie möge endlich eine Frau werden? Und jetzt, da ihr Gebet erhört worden war, stierte sie den Lappen mit dem roten Flecken an, als käme er direkt aus dem Horc.
    »Leesha, öffne auf der Stelle die Tür, oder du wirst es bitter bereuen, das schwöre ich dir bei der Nacht!«, zeterte ihre Mutter.
    Leesha ignorierte sie.
    »Ich zähle jetzt bis zehn, Leesha«, fiel Steaves dröhnender Bass ein. »Wenn du bis dahin die Tür immer noch nicht aufgemacht hast, breche ich sie auf!«
    In Leesha stieg Panik hoch, als Steave zu zählen anfing. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er die schwere Holztür mit
einem einzigen Schlag zertrümmern konnte. Sie rannte zur Tür, die nach draußen führte, und riss sie auf. Draußen war es beinahe dunkel. Ein tiefes Violett überzog den Himmel, und in wenigen Minuten würde der letzte Rest der Sonnenscheibe hinter den Horizont sinken.
    »Fünf«, donnerte Steave. »Sechs! Sieben!«
    Leesha atmete tief durch und rannte aus dem Haus.

6
    Die Geheimnisse des Feuers
    319 NR
     
     
     
    L eesha raffte die Röcke und lief, so schnell sie konnte; doch bis zu Brunas Hütte war es eine Meile, und im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass sie es niemals schaffen würde, rechtzeitig dort zu sein. Hinter ihr erschollen die Rufe ihrer Familie, doch das Gebrüll wurde übertönt vom Klopfen ihres Herzens und dem Stampfen ihrer Füße.
    Sie bekam Seitenstechen, und ihr Rücken und die Schenkel brannten von den Hieben mit Elonas Gürtel. Obendrein stolperte sie auch noch, und als sie sich mit den Händen am Boden abfing, schürfte sie sich die Haut auf. Den Schmerz ignorierend, zwang sie sich aufzustehen und hetzte weiter; nur ihre Willenskraft verhinderte, dass sie erschöpft zusammenbrach.
    Auf halber Strecke zur Hütte der Kräutersammlerin schwand das Tageslicht vollends, und die anbrechende Nacht lockte die Dämonen aus dem Horc. Schwarze Nebel stiegen auf, die sich zu bizarren, fremdartigen Formen verdichteten.
    Leesha wollte nicht sterben. Das wusste sie jetzt, aber die Erkenntnis kam zu spät. Doch selbst wenn sie hätte umkehren
wollen, so war dies mittlerweile unmöglich geworden; bis zu ihr nach Hause war es weiter als bis zu Brunas Hütte. Mit wachsendem Entsetzen dachte sie daran, dass sie unterwegs an keiner Zufluchtsstätte mehr vorbeikommen würde. Erny hatte sein Haus mit Absicht in großer Entfernung zu den nächsten Nachbarn gebaut, weil die Leute sich über den Gestank seiner Chemikalien zu beschweren pflegten. Ihr blieb also gar nichts anderes übrig als weiterzurennen, bis sie Brunas Hütte am Waldrand erreichte, wo sich massenhaft Baumdämonen versammelten.
    Ein paar Horclinge griffen nach ihr, als sie an ihnen vorbeiflitzte, doch ihre Körper hatten sich noch nicht völlig verstofflicht, und sie stellten keine Gefahr für das Mädchen dar. Sie spürte einen Hauch von Kälte, wenn ihre Klauen durch ihre Brust stießen, als hätte ein Geist

Weitere Kostenlose Bücher